Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




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10. Februar 2014

Ulrich



Der Anfang eines Prosawerkes, das ich heute begann:



Ulrich





Ich liebe ihn.

Wenn man mich fragen würde: „Seit wann liebst du ihn?“, wüsste ich die Antwort nicht.

So könnte ich nur antworten: „Ich liebte ihn schon immer.“

Eigentlich müsste ich antworten: „Ich liebte ihn schon vor immer.“

In Wirklichkeit kann ich dies nur fühlen.

„Ich liebte ihn schon im Mutterleib“, möchte ich glauben.

Sein Herzschlag war mir nah, in der wohligen Enge des Mutterleibes.

Zwillinge, Herzschlag an Herzschlag.

„Ich nahm ihm die Nahrung,“ möchte ich weinen.

Er war so klein, als er vor mir die wohlige Höhle verließ, mir den Weg bereitete.

Kleiner Gentlemen, schon damals.

Er war so schwach, kaum lebensfähig. Man sorgte sich um ihn, schon damals.

Ich sorgte mich um ihn, als wir älter waren und er todkrank.

Dass ich mich um ihn immer sorgte, wäre nicht die Wahrheit. In Zeiten, in denen er glücklich war, war auch ich glücklich. Wir sahen das gegenseitige Glück, spürten es in uns – und kümmerten uns nicht darum. Es war da. Ganz selbstverständlich. So selbstverständlich, wie wir beide da waren, oft entfernt voneinander, aber immer herznah.

„Ich liebe ihn noch immer“, wäre auch eine Antwort.

Ulrich ist tot.

„Ich werde ihn immer lieben. Solange ich lebe“, das weiß ich mit Gewissheit.

(c) Annette Gonserowski
 


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