Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




Dieser Blog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.








25. Mai 2006

Eine kleine Pause




Bis zu meiner Rückkehr wünsche allen Besuchern meines blog eine gute Zeit.

Annette Gonserowski

Welle




Am Saum des Meeres
die eine Welle
erwarten,
die sich löst,
aus allen,
die Dir bestimmt ist.
Dieser einen
entgegensehen,
wie sie naht,
schaumgekrönt,
mit Glitzern der Sonne.

Dieser einen
entgegengehen,
ohne Zögern,
Schritt für Schritt,
erwartend,
bebend,
vertrauend,
bereit
sich tragen zu lassen,
spüren,
wie sie den Fuß erreicht,
die Lenden,
das Herz.

(c) Annette Gonserowski

Te quiero




Als die Wellen
die Sehnsucht
nicht stillen konnten,
schwemmten sie mich
mit den Muscheln
ans Land,
schenkten mir
in jeder
ein Wort
der Liebe..

(c) Annette Gonserowski

Mittelmeer







Die Wellen wogten:
"Fürchte Dich nicht,
wir reden nicht von Ankunft und Abschied,
nicht von Verflossenem
oder von fremden Ufern.
Wir sind um Dich.
Vertrau."

Da nahm ich
den silbernen Augenblick
des springenden Fisches
und den Silberstreifen
vom Horizont,
der die Ferne so greifbar machte,
wurde getragen.

(c) Annette Gonserowski

Sirene


(c) koko.. Annette Gonserowski




Sieh,
heut trägt das Meer
mein Augenblau,
die Wellen
mein kräuselndes Haar,
der weite Himmel
meine Sehnsucht.

Heut
sitz ich auf dem Felsen
am Meer
und sing
in der Sprache des Windes
von Dir.

(c) Annette Gonserowski

23. Mai 2006

Liebe

Wort
um Wort
geschrieben
mit schwarzer Tinte
auf weißem Papier
meine Liebe.

Wort um Wort
geschrieben,
bis die Füllfedern,
geleert waren
und sie schwiegen,
und das Herz
noch so voll war,
und nicht schweigen wollte.

Da schrieb ich weiter
mit den Augen
unsichtbar
auf weißem Papier
von dieser Liebe.

(c) Annette Gonserowski

22. Mai 2006

Fliederstrauch: Gitta und Ulrich





Der Fliederstrauch trägt Blüten in zwei Farben

Dazwischen




Zwischen uns
der Lufthauch des Atems,
der Gedanke,
die Gemeinsamkeit,
das Schweben -
es trägt.

Manchmal
zwischen uns
ich.

(c) Annette Gonserowski

21. Mai 2006

Mittelmeer




Meer -
ein Meer.
Welle um Welle
Liebe.
Ein Meer.

Ich weiß
um die Unsinkbarkeit
der Wellen
und die Unvergänglichkeit
der Liebe.

Sie bleiben.

Gestrandet
bewegen sie
Stein und Sandkorn,
sind
in Erinnerung und Herz.

(c) Annette Gonserowski

Heut bin ich Clown


Blick am Morgen aus dem Schlafzimmerfenster

Heut spiele ich Clown,
male mir einen lachenden Mund
und lustige Fältchen
um tränende Augen.

Heut tanz ich,
den Arm voller Kastanienkerzen,
damit sie mir leuchten
durch meine Traurigkeit.

Heut bitt'
ich die Amsel
zu singen,
von meiner Liebe.

(c) Annette Gonserowski

20. Mai 2006

Südliche Farben III



Südliche Mauern



Licht
hinter dem Licht,
Blau
über dem Blau,
Weiß
neben dem Weiß.

Sonne,
Himmel,
Wärme,
Meer,
Jasmin und Oleander -
Sinne betäubend.

Aber auch
gleißende
Fremde,
Ferne,
Mauern so hoch -
und es nicht ändern können.

(c) Annette Gonserowski

Südliche Farben II


Südliche Bläue

Schreiben
über das Licht
hinter dem Licht,
die Bläue
des Himmels am Morgen,
die Wellen,
das Rauschen,
den Wind,
der rüttelt an dem
knorrigen Ast
der Pinie.

Verschweigen
das Dunkle,
Unberührte.

(c) Annette Gonserowski

Südliche Farben I


Strand in Els Poblets

Licht
hinter dem Licht,
Blau
über dem Blau,
Weiß
neben dem Weiß.

Wir dachten
uns Herz an Herz,
fanden das Licht
im gemeinsamen Lachen,
im offenen Blick,
waren vertraut uns
und nah.

Vorbei -

Ein Wort
könnte das Dunkel
erhellen
und graues Vergessen
mit Farben füllen.

(c) Annette Gonserowski

18. Mai 2006

Gefühle


Löwenzahn auf der Wiese


Die Gefühle können sein
wie eine Pusteblume:
golden und stark
in voller Blüte,
zart und verletzlich
nach der Blüte.
Gefährdet,
um von einem Windhauch schon
in alle Lüfte verweht zu werden.

(c) Annette Gonserowski

Die Rinder


Kälbchen auf dem Bauernhof
Es macht mich traurig

Freuen kann ich mich nicht, wenn sie an einem späten Nachmittag im frühen Jahr plötzlich da sind. Sie wurden im Laufe des Tages gebracht, während ich arbeitete. Ohne vorherige Anmeldung - wie auch in den vergangenen Jahren. Niemand ist mir Rechenschaft schuldig, wenn er sie bringt. Sie gehören mir nicht und doch gehören sie zu meinem Leben, von dem Moment an, an dem sie den wackligen Anhänger verlassen.

Meist begegne ich ihnen zum ersten Mal in den frühen Abendstunden, wenn ich gemeinsam mit dem Hund die Landstraße begehe, die an ihre Weide grenzt. Nicht ich bin es, der ihr Interesse gilt. Ich bin nebensächlich. Lediglich der große, schwarzbraune Hund weckt ihre Neugierde. Schon laufen sie mit staksigen Beinen den Abhang hinunter. Man merkt ihnen an, dass sie die langen Wintermonate in einem engen Stall verbrachten. Sie laufen ohne Gleichgewicht, wackelig, die Beine steif wie Besenstiele. An dem Stacheldrahtzaun bleiben sie stehen, blasen dicke Atemwolken in die kühle Abendluft. Kinderhandtellergroße, schwarze Augen mustern uns über krumme Eichenpfähle hinweg. "Wuff", macht der Hund, springt zwei Schritte vor in Richtung des Zaunes. "Wuff!!" Er kennt dieses Spiel von vergangenen Jahren. Erschreckt springen die Rinder zurück, schauen erstaunt mit sanften Augen auf dieses unfreundliche Tier, begleiten unseren Weg bis zum Ende der Weide im gebührenden Abstand.

Nun sind sie da, schnuppern an Gänseblümchen, jeden Tag wird ihr Gang sicherer, verliert seine Steifheit. Oft tollen sie den Abhang hinauf und herunter, laufen die Kälte der noch jungen Tage aus ihrem Fell. Noch ist es stumpf und man sieht ihre groben Knochen deutlich darunter liegen.
So sollten sie bleiben, es würde ihr Leben retten.

Doch sie fressen die Weide von unten nach oben kahl, liegen träge im Schatten der hohen Bäume und schon nach wenigen Wochen glänzt ihr Fell wie Kupfer in der Sommersonne.

Ich halte Abstand zu ihnen, mache mich nicht vertraut. Ertrage nicht den Gedanken an ihren letzten Sommer. Doch sie gehen ahnungslos jeden Abend zur Tränke, laufen aufgeregt beim nahen Gewitter, die langen Schwänze hoch in den Himmel gereckt.

Dem Hund sind sie Alltag, kein Wuff mehr für sie.

Nach der Sommerwende werde ich unruhig. Sie haben die Kraft der Weide gebrochen, nur spärlich wächst Gras in der sengenden Sonne. Nun sind zu zu viele. Ich weiß das seit Jahren. Heimlich beginne ich sie zu zählen: Achtzehn, zwanzig, zweiundzwanzig...! Atme auf, weil sie vollzählig sind. Heute habe ich Glück gehabt. Wer weiß, wie viel Zeit bleibt....

Ab Mitte August, meist, zähl ich dann täglich. Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn...!!!! Mit Panikaugen suche ich den Hang ab. "Sechzehn, achtzehn, zwanzig, zweiundzwanzig." Gott sei Dank, hinter dem Bergrücken kommen sie grasend hervor. Für heute beruhigt gehe ich weiter.
Wenige Abende später hör ich von weitem das Rufen eines Rindes. Ich versteh seine Sprache.
Unruhig läuft es am Zaun entlang, den Blick auf die Straße gerichtet. In diese Richtung muss es passiert sein.

Unruhig auch ich.

Ich zähle vergeblich: "Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn...." Und noch einmal: "Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn!!" Dort oben am Hang, das Dunkle dort! Es bewegt sich nicht. Ist es ein Rind?
Ich strenge die büromüden Augen an, verfluche die fehlende Brille, die nahende Dunkelheit.
Ein Gasbüschel nur...
Ich laufe zur anderen Seite des Berghangs. Auch dort sind sie nicht.
Nun weiß ich es sicher: man hat sie geholt, das ist nun ihr Ende.
Ich bin sehr traurig und wütend, hadere mit dem Bauern, dem Unholt, dem Bösen, zürne dem Fleisch fressenden Hund, bin wütend auf die Rinder, die Ahnungslosen, die fressen, als ging es nicht um ihr Leben.
Im Bett stopf ich mir Watte in die Ohren und doch verfolgt mich der Ruf des Rindes auch dort, wie es verlassen nach der Gefährtin ruft, die im Schlachthaus letzte Qualen leidet.

Von nun an sehe ich sie täglich, die Todesfahrzeuge. Blau oder auch grün sind sie gestrichen, Himmel und Gras vermittelnd. Die Bracken verstärkt und kurz unterm Dach Luftschlitze. Durch sie kann ich manchmal ihre Ohrenspitzen sehen, wie die langen Haarbüschel schimmern. Mir dreht sich das Herz, kaum kann ich es ertragen, wenn vor mir an der Ampel das Fahrzeug in den Federn schaukelt, wenn in ihm das gefangene Tier, geschunden, in Ketten gelegt, vergeblich gegen sein nahes Ende kämpft. In mir krampft alles zusammen, ich leide Qualen, schaue die Männer an, die diese Wagen fahren, wie sie freundlich lächelnd hinter dem Steuer sitzen. Wünsche sie zur Hölle.

Einige Tiere bleiben übrig. Sie bleiben bis zum späten Herbst. Zottelig ihr Fell, wenn sie steifgliedrig unter den nun blattlosen Bäumen Schutz vor der hereinbrechenden Kälte suchen. Dicke Tropfen hängen an ihren Nasen und in den stacheligen Haaren rund um das Maul Raureif. Nun verliert ihr Gang die Leichtigkeit des Sommers, das lange Winterfell an den Beinen verstärkt den Eindruck der Trägheit. Nun blicken sie traurig, erinnern sich des Stalles vom vergangenen Jahr.
Meist wenige Tage vor einsetzendem Schneefall sind auch sie fort.
Ich wünsche sie mir in den wärmenden Stall.

Doch donnerstags ist Rindertag im hiesigen Schlachthof und vor mir an der Ampel hält der grün-blaue Wagen, er schaukelt verdächtig in seinen Federn.

(c) Annette Gonserowski

17. Mai 2006

Freundschaft




Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag,
liebe Gitti.

Wenn der Blick
erwidert wird,
Worte nicht
im Nichts verhallen,
wenn Verstehen
auf Verstehen trifft,
Vertrauen
Fesseln von der Seele löst,
dann beginnst Du
Du zu sein.

(c) Annette Gonserowski

Erinnern




Wir haben den Himmel gesehen,
standen erschüttert
an der Pforte des Grauens,
weilten auf Höhen,
fielen in nachtschwarze Gründe.

Lang war der Weg
zu unserer Freundschaft
und schwer,
einziger Stab
war das Wissen der Liebe.

Lang war der Weg
und schwer-
zu unserem Schweben.

(c) Annette Gonserowski

16. Mai 2006

Gratulationsstrauß

Text der Urkunde des Alfred-Müller-Felsenburg-Preises

Der
"Alfred-Müller-Felsenburg-Preis
für aufrechte Literatur 2006
wird
Frau Annette Gonserowski,
Kierspe.
zugesprochen

In den bislang erschienenen fünf Büchern der Autorin paaren sich lyrische und prosaische Texte, wobei das poetische Element überwiegend durchtränkt ist von Empfindungen seelischer Zustände, die deutlich werden lassen, was Welt und Person verbindet und aufbaut, aber auch im Stande ist, Leben zu zerstören.
Wahrhaftiges wird dergestalt unmittelbar an Leserinnen und Leser gegeben, so dass sie eingebunden werden in das, was Dasein ausmacht.
In dem biografischen Werk "Liebe Mutti/ Ein Abschied" (Kierspe 2000) zeichnet Annette Gonserowski das Bildnis ihrer Mutter aus unterschiedlichen Perspektiven, so dass Nähe und Fremdheit, Liebe und Nichtverstehen gleichsam zu einem musikalischen Bogen werden, unter dem sich all das sammelt, was Menschsein bedeutet.
Der Eingangstext zeigt es bereits an:
"Zulassen/ den Abschied, / den Tod, / die Trauer, / die Freude, / das Leben."
Dass ein Teil des Bucherlöses dem Müttergenesungswerk der Evangelischen Frauenhilfe zufällt, kennzeichnet zugleich ihr soziales Engagement.
Es weist aus, wie sehr sie hinter sich zurücktritt.
Sie wird an diesem Tage für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet.
Die Jury wünscht, dass sie ihr literarisches Talent stets weiter vertieft.

Im Auftrag der Jury
gez. Georg Reinhart gez. Alfred Müller-Felsenburg

Hagen, 10. Mai 2006

15. Mai 2006

Aus meiner Lesung anläßlich der Preisverleihung des Alfred-Müller-Felsenburg-Literaturpreises



... und heute nachträglich zum Muttertag ...

Laß mich vom Frühling erzählen!

Von den heimgekehrten Schwalben, die hoch in den stahlblauen Himmel stoßen, um nah den weißen Wolken die Mücken zu jagen.
Von den saftiggrünen Wiesen, aus denen die Blüten des Löwenzahns leuchten, den sattgelben Sumpfdotterblumen am Bach, dem Wiesenschaumkraut, das überschwenglich Besitz von den Wiesen nimmt.

Laß mich erzählen von dem Überschwang der blühenden Obstbäume hinter Deinem Haus, die Deinem Grundstück für eine Weile den Zauber filigraner Schönheit verleihen.

Laß mich erzählen von dem hellen Grün der Lärchen, den zarten Blättern der Buchen, die Akzente zwischen dunkle Tannen setzen. Erzählen von den jungen Trieben der Tannen, die über dunklen Zweigen leuchten, von den Kerzen der Kastanien, auch in diesem Jahr.

Laß mich erzählen, von den springenden Wellen des Baches, den Wasserläufern im Tümpel, dem Vergißmeinnicht an seinem Ufer.

Laß mich erzählen von blühenden Hecken am Feldrain, vom Duft der die Sinne betört.

Laß mich erzählen, von den jungen Tieren, die ihren ersten Frühling erleben: dem feingliedrigem Kitz, dem anmutigen Fohlen, dem fröhlichen Lämmchen, dem Kälbchen, das übermütig um seine Mutter springt.
Laß mich erzählen von neuem Leben.
Laß mich erzählen von jubilierenden Vögeln.

Laß mich erzählen von den Blumen in Deinem Bauerngärtchen, den Stauden, die vorsichtig ihre Knospen öffnen, Tag für Tag mehr, von Tulpen, Traubenhyazinthen und Tränenden Herzen....

Laß mich erzählen vom Schmetterling..........

Laß mich erzählen von wärmenden Tagen, von sternklaren Nächten und vom Kometen, der den Sichtkreis unseres Planeten verläßt.

Laß mich erzählen vom Leben.

Doch laß mich schweigen, von der Traurigkeit.
Laß mich verschweigen die Einsamkeit.
Laß mich verschweigen, wie sehr Du mir fehlst.
Laß mich schweigen....

(c) Annette Gonserowski

14. Mai 2006

Preisverleihung Alfred Müller-Felsenburg-Preis



Gratulationsstrauß
Laudatio
von Ulrich Köhler
- Ausschnitte -

Zur Ehre meiner Zwillingsschwester Annette Gonserowski

Meine sehr geehrte Damen und Herren. Verehrte Preisträger. Verehrter Herr Müller-Felsenburg.

Ich begrüsse Sie herzlich und ich möchte mich dafür bedanken, dass ich eine kleine Rede zum Lobe meiner Zwillingsschwester und Preisträgerin, Frau Annette Gonserowski, halten darf.
Wo ich vielleicht 100 Worte brauche um meine Gedanken zu offenbaren, reicht für Annette Gonserowski wahrscheinlich nur ein kleines Gedicht.
Bevor ich etwas zur Biografie sage, möchte ich Ihnen ein Gedicht von Frau Gonserowski vortragen, das sie anlässlich ihrer 1. öffentlichen Lesung im September 1981 in Meinerzhagen gelesen hat. :

Wenn Du zur untergehenden Sonne gehst,
wirst Du mich finden.


Ich werde auf Sonnenstrahlen
zum Abendrot tanzen,
schon werden aufgehende Sterne
in meinen Augen funkeln,
die Nacht wird behutsam
ihr stilles Tuch um mich legen.


Dort
werde ich auf Dich warten,
wenn Du im Schleier der Träume
mich erreichst.


Mit meiner Kurz-Biografie möchte ich versuchen zu erklären, aus welcher Tiefe und Erfahrungen ihres Lebens die Autorin die Fähigkeit hat, Lyrik und Prosa in ihrer beispiellosen persönlichen Art zu schreiben.

Annette Gonserowski wurde im sauerländischen Kierspe als 3. Kind und einzige Tochter der Eheleute Ruth und Fritz Köhler geboren. Sie wurde geboren in einem Jahr, in dem die Erinnerung an das Leid des Krieges im Volke noch frisch und die Tränen über den Tod der Väter, Söhne und Brüder noch nicht getrocknet waren. In einem Jahr, das sich gerade anschickte eine Demokratie zu wagen, in dem die Menschen voller Zuversicht anfingen eine neue friedliche Zukunft zu planen und aufzubauen.

In der Zeit ihrer Kindheit wohnten im Elternhaus neben den Eltern und Geschwistern, die noch lebenden Grosseltern.
Nicht nur die Eltern, besonders die Mutter , sondern auch beide Grosseltern erzogen das Mädchen zu einer aufgeschlossenen fröhlichen jungen Dame. Nie war sie einsam. Immer fand sich jemand in der Familie bereit, ihre Fragen zu beantworten und, wenn es nötig war, ihre Tränen fort zu wischen. Durch die Gespräche der Erwachsenen wurde Annette Gonserowski auf eine nationale und familiäre Vergangenheit aufmerksam gemacht, in der Kriege und finanzielle Katastrophen das Leben der Menschen in ihrem Dasein mental und materiell bedrohten. Nie wieder Unterdrückung, nie wieder Krieg war die Meinung der Eltern und Grosseltern. Aber auch von erlebter Hilfsbereitschaft und von Solidarität gegen den vorher so menschenfeindlichen Staat wurde geredet. Die Lebenserfahrung der Eltern und Grosseltern wurde weitergegeben. Annette Gonserowski lernte Recht und Ungerechtigkeit zu erkennen und dieses auch zu hinterfragen.

Annette Gonseowskis grosses Verständnis für erlittenes Leid anderer Menschen und die damit verbundene Hilfsbereitschaft, ihre grosse Liebe zur Literatur, ihre Liebe zu den Tieren und zur Natur wurde bei ihr im sehr liberalem Elternhaus geweckt und gefördert. Aus dieser Zeit ihrer Kindheit ist vermutlich ihr 1. Gedicht erhalten, das sie als etwa 10 Jährige an die lokale Zeitung schickte.
Nicht zu vergessen ist, dass dem Lehrerkollegium ihrer Schule Lehrerinnen und Lehrer angehörten, die sowohl noch in der Kaiserzeit als auch nach der Nazi-Herrschaft ihr Studium beendet hatten. Bewährte Tugenden, das Wir-Gefühl und die Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden, wurden ihr ebenso beigebracht, wie auch Kritikfähigkeit und Pragmatismus. Besonders Frau Rahner, eine damals als sehr modern geltende junge Lehrerin, erkannte das dichterische Talent von Annette Gonserowski und stand ihr mit Rat und Anregungen fördernd zur Seite.
Die Mentalität der Eltern, und wie diese das Leben einer kinderreichen Grossfamilie meisterten, ( es lebten zeitweise 7 Personen im Elternhaus ) war vorbildlich für das weitere Leben von Annette Gonserowski.
Zu der Besonnenheit, der Ausgeglichenheit, der Klugheit und der grossern Fürsorge des schon für die Zwillinge etwas älteren Vaters, kam die Spontaneität und die allem Neuen Aufgeschlossenheit der gutherzigen, hilfsbereiten jüngeren Mutter.
Nie hat es in der Familie Fremdenfeindlichkeit oder Hass gegeben. Ganz im Gegenteil. <>Man kannte Hilflosigkeit und wusste zu helfen. Lief mal was schief, gab es keine Suche nach dem Schuldigen oder gar eine Schuldzuweisung .Vielmehr wurde versucht den Grund zu erfahren, um auch dafür noch Verständnis zu finden.
Das Leben in der Familie war auch ohne Fernseher nicht langweilig. Ausser durch das Radio und der Tageszeitung wurde der Wissensdurst der heranwachsenden Annette Gonserowski durch ständiges Lesen guter Bücher gestillt. Dabei kam der Kontakt zu anderen Mädchen nicht zu kurz. Freundschaften aus der Zeit der späten Kindheit sind nie abgebrochen worden.
Nach der schulischen Ausbildung erlernte Frau Gonserowski den Beruf der Industriekauffrau.
<>
Das in ihrem Beruf Erlernte war für Annette Gonserowski später nützlich, um einen eigenen kleinen Verlag zu gründen und zu führen und Künstlerkolleginnen und -kollegen organisatorisch unterstützen und fördern zu können.
<>
Der grösste Teil ihrer Dichtung ist Liebeslyrik.
<>
Im mediterranen Süden schöpft Annette G. neue Energie und Inspirationen. Dort bekommt sie Distanz zum Alltag. Ihre Gedanken werden frei. Ihre Gedanken bekommen Flügel. Viele ihrer feinfühligen Gedichte sind dort unter spanischer Sonne entstanden. Gedichte voller Zärtlichkeit und Poesie. Aber auch Gedichte, in denen sie das Verhältnis vieler Spanier zu Natur und Umfeld anprangert. Gedichte voller Leidenschaft und Engagement.
Und damit bin ich bei dem Thema, weswegen Annette Gonserowski den heutigen Preis verliehen bekommen soll. Annette Gonserowski ist keine politische Dichterin. Das heisst nicht, dass sie vor der Realität ihre Augen verschliesst.
Aus dem Herzen heraus, aus der Bestürzung und des Mitleidens heraus, entstehen Gedichte mit beklemmenden Inhalt. Als Beispiel seien angeführt die Gedichte Tschernobyl und über den 11. September, die noch am Tage der Katastrophen entstanden sind.
Inhalt dieser Gedichte ist stets das Leid der Opfer. Hierin spiegelt sich die Humanität der Dichterin.
In die Gedankenwelt der Fanatiker kann sie sich nicht hinein versetzen. Sie hat durch Ihre Eltern und Grosseltern gelernt Gewalt zu verabscheuen. Umso mehr versetzt sie sich in die Gedanken der Geschundenen und Wehrlosen. Für diese Menschen ist Annette Zeitzeugin und Fürsprecherin zugleich. Sie macht die Opfer unvergessen.
Ich sehe darin eine Aufforderung an andere Schriftsteller, es ihr gleich zu tun. Probleme gibt es in der heutigen Zeit mehr als genug, die es anzuprangern gilt. Mit ihrer Prosa über das Leben einer unglücklichen Türkin in Deutschland, hat Annette Gonserowski ebenfalls einen unter die Haut gehenden Beitrag zum Verständnis, und damit zur Integrität unserer nicht deutschstämmigen Mitmenschen geliefert.
Rupert Neudeck, der Mitgründer von Cap Anamur, wurde gefragt, warum er nicht den bequemen Beruf eines Arztes oder Fachjournalisten in Deutschland ergriffen habe. Daraufhin entgegnete er, dass er durch das Buch "Die Pest" von Camus spontan dazu verleitet worden sei, Menschen praktisch zu helfen.
Durch ihr Buch "Liebe Mutter" hat Annette Leser dazu gebracht, ebenfalls spontan sich nahe stehenden Menschen wieder helfend zuzuwenden, die sie vorher im hohen Masse vernachlässigt hatten.
Annette Gonserowski ist eine anerkannte Schriftstellerin. Eine Meisterin der Sprache. Sie ist Kulturschaffende und Trägerin eines unserer höchsten nationalen Güter, der deutschen Sprache.
Zahlreiche Rezessionen aus dem In-und Ausland belegen dieses. Mittlerweile werden ihre Werke als Beispiele zeitgenössischer moderner Lyrik weltweit z. B. in Germanistikseminaren und Lehrbüchern zitiert und als Arbeitsvorlage benutzt.
Ich möchte meine Rede mit einem Zitat aus einer Rezession und mit einem der letzten neuen Gedichte von Annette Gonserowski beenden.

Ich zitiere Fritz Beuer in der literarischen Zeitschrift "Schreiben und Lesen", Berlin 3/83 Seite1:
Annette Gonserowskis lyrische Gedichte sind von einer Art, die den sofortigen Kontakt mit den Leser gewinnt. Das liegt nicht nur in der absoluten Ehrlichkeit der Aussage begründet, sondern auch in dem dieser Aussage vollkommen angemessenem Klangbild.
<...> man darf sich voll der Bewunderung hingeben, die man hegen muss, wenn man sieht, wie die junge Frau im Gedicht weit entfernt von sauertöpfischer Katastrophen-Mentalität und generationstypischer Selbstbemitleidung rückhaltlos ihr Herz sprechen, den Gesang ihrer Seele strömen lässt. Dort, wo die Dichterin sich diesem Strom bedenkenlos anvertraut, erreicht sie eine poetische Kraft, von der die leider noch zahlreiche Zunft der Prosazerzäger nur träumen kann.
Diese Dichterin ist den grossen Lyrikern des fernen Ostens ( man vergleiche die Nachdichtungen Klabunds und Bethges ) ebenso verwandt, wie den tschechischen Meistern Brezina und Sova.
Ein seltsames Phänomen ist festzustellen: Je mehr die Dichterin Langzeilen verwendet, je mehr sie sich von der kurzen Reihung lösst, desto beschwörender, eindringlicher wird die Wirkung ihrer Verse.
Man muss ihre Gedichte gelesen haben, in sich aufgenommen haben, um dankbar zu bekennen, dass auch in unserer " jungen" Lyrik dichterische Grösse sich wieder Bahn bricht.
Da weiss man, dass auch in unserem Land Spuren einer Weltlyrik zu finden sind, die wir in den letzten jahrzehnten bei den Jüngeren so schmerzlich vermissten. Der Vorname "Annette" ist sicher ein gutes Omen.
( Zitatende
)

Vor einigen Wochen sagte ein Berliner Verlagsleiter, man brauche jetzt junge, gut vermarktbare Kult-Autoren. Lieber Zwilling: Zu dieser Kategorie Schriftsteller gehörst Du nicht! Dafür aber werden Deine Werke unsterblich sein!

Wenn der Blick erwidert wird,
Worte nicht ins Nichts verhallen,
wenn Verstehen auf Verstehen trifft,
Vertrauen Fesseln von der Seele nimmt,
dann beginnst Du "Du" zu sein.


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ulrich Köhler. 10.Mai 2006

11. Mai 2006

Dank an Freunde



Gittis Strauß stellvertretend für alle

Viele Freunde begleiteten mich gestern an diesem wichtigen Ereignis der Preisverleihung des "Alfred-Müller-Felsenburg-Preises". Sie waren entweder dabei oder drückten ihre Gratulation durch Anrufe, SMS oder Mails aus. Viele liebe Grüße erhielt ich, Blumen, Bücher, wunderschönen Schmuck, Briefe, Karten, persönliche Glückwünsche. Es war wunderschön und ich danke allen Freunden herzlich:

Euch allen:
Gerd,
Ulrich,
Roma,
Andreas,
Christophe,
Ecki,
Claudia,
Wolfgang,
Peter,
Renate,
Sabine,
Karlheinz,
Erika F.
Biggi,
Gitti,
Karin,
Christine,
Gabi,
Solveig,
Doris,
Sabine Z.
Gernot,
Rengha,
Gerhard R.
und allen Autoren des Autorenkreises, die anwesend waren...

Ich umarme Euch alle und sage: Danke!!!

Eure Annette

Meine Rede bei der Preisverleihung

Träume.... Ein jeder Mensch hat Täume. Auch ich habe Träume, ungesteuerte Nachtträume und Tagträume, die sich oftmals in meinen Gedichten manifestieren. Einen Traum jedoch habe ich mir nie erlaubt zu träumen: einmal einen Literaturpreis zu erhalten.

Und nun wurde gerade dieser Traum Wirklichkeit: ich habe soeben den Alfred-Müller-Felsenburg-Preis für aufrechte Literatur verliehen bekommen. Ich freue mich unsagbar darüber.

Ich bedanke mich herzlich bei Dir, lieber Alfred, für diesen Preis und auch Ihnen, sehr geehrter Herr Reinhardt danke ich, denn die Thalia-Buchhandlung ist maßgeblich an diesem Preis beteiligt. Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Fischer für Ihre Worte und Dir, lieber Zwilling, für Deine Laudatio. Dir, lieber Freund Andreas, danke ich für Dein Spiel, das mich mehr als einmal bei Lesungen begleitet und verzaubert hat.
Ich danke meinem Mann, der extra seine Kur unterbrochen hat und aus Bad Salzuflen anreiste. Lieber Gerd, ich danke Dir für Deine Unterstützung und für Dein Verständnis, mit dem Du diesem wichtigen Teil meines Lebens begegnest.

Ich danke Allen, die diesen wichtigen Moment in meinem Leben nun hier gemeinsam mit mir erleben.

Als ich die Nachricht erhielt, dass ich für den Preis vorgeschlagen wurde, war es Hochsommer. Nach einem Berufstag hatte ich mich für einen Augenblick in eine stille Ecke des Hauses zurückgezogen. Ich war allein. Da sah ich das Fax, das mir die freudige Nachricht brachte. Sie machte mich sprachlos vor Freude. Die Sonne schien durch die geöffneten Fenster, die großen Kastanienblätter wehten im lauen Wind und die Vögel sangen an diesem späten Nachmittag. Ich wußte nicht wohin mit meiner Freude, hätte weinen und lachen können.

Diese Freude hat mich bis zum heutigen Tag begleitet.

Lieber Alfred, ich denke zurück an die Zeit, als ich Dir zum ersten Mal begegnete: es war bei einer Tagung des Autorenkreises Ruhr-Mark. Du warst angesehener Schriftsteller und ich ein Neuling. Andächtig lauschte ich Deinen Worten. Selbst war ich viel zu schüchtern, um mein Wort zu erheben. Das hole ich heute nach und widme die Lesung Dir, aber auch meinen Eltern.

Meine Lesung ist Dank.

Ich lese aus meinen verschiedenen Büchern, mische wenige neue Gedichte darunter.

Ich beginne mit einem Beitrag aus meinem Buch "Liebe Mutti."

10. Mai 2006

Freude

Alfred-Müller-Felsenburg-Preis 2006

Alfred-Müller-Felsenburg-Preis 2006
"Für aufrechte Literatur"

am 10. Mai 2006
Beginn: 20.00 Uhr
Thalia Buchhandlung
Elberfelder Straße 31
Hagen

PROGRAMM

Musik:" Cancion de cuna" von Leo Brouwer

Begrüßung durch den Geschäftsleiter der Buchhandlung Thalia Herrn Georg Reinhart

Grußwort der Stadt Hagen, vertreten durch Bürgermeister
Herrn Dr. Hans-Dieter Fischer

Grußwort von Herrn Alfred Müller-Felsenburg

Musik: "Nocturno" (Anonymus)

Laudatio auf die Preisträgerin 2006
Frau Annette Gonserowski
von Herrn Ulrich Köhler

Laudatio auf den Preisträger 2006
Herrn Hermann Multhaupt
von Herr Pfarrer Hermann Walch

Verlesung und Überreichung der Urkunden durch
Herrn Dr. Hans-Dieter Fischer

Die Flasche "ehrlichen Landwein" wird überreicht durch Herrn Alfred Müller Felsenburg

Musik:" Lagrima" von Francisco Tarrega

Lesung des Preisträgers Herrn Hermann Multhaupt

Lesung der Preisträgerin Annette Gonserowski

Musik:" Kavatina" von Stanley Myers

Die musikalische Umrahmung gestaltet Herr Andreas Koch

Die Buchhandlung Thalia lädt zum Ausklang auf ein Glas Wein ein.



Mittwoch, 10. Mai 2006, Beginn 20 Uhr, Ende ca. 22 Uhr

9. Mai 2006

Vergißmeinnicht



In meinem Garten....

Frühling




Baum bin ich
mit spröder Rinde
nach langem Winter,
der zögernd seine Zweige reckt
in kalter Nacht
ins junge Jahr.

Zweig bin ich
erschauernd noch
in kalter Nacht,
der eine
zarte Knospe treibt
vertrauensvoll
ins neue Licht.

Knospe bin ich -
und Du das Licht.

(c) Annette Gonserowski

7. Mai 2006

Flüchtigkeit



Als ich Dich traf,
strahlte ich
blauäugig
in Deine Augen,
die grüner waren,
als jede Hoffnung.

Die Zeit
legte sich sanft
auf das Strahlen,
nahm unsere Worte mit
in die Flüchtigkeit.

Nur die Sehnsucht blieb,
vergeblich,
wie der Duft des Weißdorns
unter dem Junimond.

(c) Annette Gonserowski

4. Mai 2006

Liebe

Einen Sternenflug lang
deinen Atem spüren,
einen Vogelruf lang
deine Haut fühlen,
einen Wimpernschlag lang
in deinem Blick versinken,
doch ein Leben lang
in deinem Herzen weilen.

(c) Annette Gonserowski

Frühling


für Gitti

Leise, leise wehen Apfelblüten
in die maienwarme Luft,
mit Winden, die den Frühling hüten,
trunken von dem Blütenduft.

Der Schmetterling trägt auf den Flügeln
den langersehnten Sonnentraum.
Trägt ihn über Tal und Hügel,
verkündet ihn von Baum zu Baum.

In den Lüften schwingt das Sehnen
des Lebens, allerort erwacht
aus tiefem, traumlosen Schlaf.

Es kündet denen,
die harren noch in dunkler Nacht,
daß man leben darf.

(c) Annette Gonserowski

3. Mai 2006

Melancholie





Heut mal ich mir
keinen lachenden Mund,
gebiete den Vögeln zu schweigen,
damit Dich mein Herzschlag
erreicht.
Nur die Augen
bedeck ich
mit seidenem Tuch,
damit Du die Trauer
in ihnen nicht siehst
nicht Dein Bild darin,
nicht das meiner Seele.

(c) Annette Gonserowski
3.11.03

2. Mai 2006

The-bathing-cap-society




meine Badekappe mit dem Text:

Tsunami

Uns erreichte die Welle
auf dem Bildschirm.
Sie nahm uns das Behagen des Abends.

Dir, fremder Freund,
nahm sie Alles.

(c) Annette Gonserowski

www.virtuelle-Galerie
Projekt: Ursula Pahnke-Felder

1. Mai 2006

Paris: Jardin du Luxembourg









Der Jardin du Luxembourg
verschwieg Deinen Abschied,
kleidete sich farbenfroh
im Bunt des Sommers.
Die Sonne glühte noch
von Deiner Leidenschaft,
dass die Menschen Schutz suchten
unter den Zweigen der Kastanien.

Ich mied den Schatten,
ging über Deine Wege,
schutzlos
in Erwartung des Wortes.

(c) Annette Gonserowski

Im Messehotel Leipzig




Beim Blick in den Spiegel
des Bad's im Hotel
sah ich mich morgens
schonungslos,
offen
und nackt,
sah die Hülle,
die Verletzliches schützt,
sah das Herz
unter dem Heben und Senken der Brust,
wie es wild und erschrocken schlug,
sah den Schoß,
der noch schlummerte
hinein in den Tag,
sah meine Augen,
die noch träumten von Dir,
sah sie erwachen.

(c) Annette Gonserowski

30. April 2006

Frühling



Beim Schwarzdorn
schließe ich die Augen,
atme den Duft
des vergangenen Frühlings,
atme die Worte,
die mir galten,
atme den Wind,
der sie forttrug.

(c) Annette Gonserowski

29. April 2006

Dusche




Komm näher,
sieh das Leuchten
in meinen Augen,
sieh Deine Glut,
sie bricht sich
im Tropfen
auf meiner Haut!

Verschwommener Augenblick.

Sieh den Wasserstrahl,
wie er rinnt,
gleich liebkosenden Händen,
warm, sanft,
dass die Knospen
der Liebe erblühen.

Komm näher
spüre die Nässe,
berühr.

(c) Annette Gonserowski

26. April 2006

Das Erwachen der Scham




















Flirrend stand die Luft über den wenigen Häusern des bäuerlichen Gehöftes.Von den Wiesen kam das träge Muhen der Kühe, die auf den umliegenden Weiden müde und widerkäuend in der Sonne dösten. Das Pferd senkte im Halbschlaf seinen langen Kopf in den Schatten des alten Apfelbaumes, wedelte hin und wieder mit seinem Schweif lässig die lästigen Fliegen fort.
Die Wege zwischen den Häusern waren staubig. Die Erde zeigte Risse nach dieser langen Trockenheit.

Die Blumen in den Bauerngärten blühten üppig in diesem Jahr: Gladiolen ragten in die gleißende Sonne, Dahlien in den vielfältigsten Farben und der blaue Rittersporn. Wicken rankten an der verwitterten Wand der alten Holzscheune. Am Bogen, der das Gartentor überrundete, dufteten die Rosen des alten Rosenstocks, den schon die Großmutter gepflanzt hatte.
Die Frauen saßen vor der Haustür, an diesem Nachmittag, hatten das Flickzeug mit nach draussen genommen. Eine pulte die ersten jungen Erbsen aus den noch zarten Schoten.
Auch die Frauen waren träge in der Hitze des frühen Nachmittags, wechselten einzelne Worte. Was gab es schon zu erzählen, in dieser Einsamkeit, in der höchstens der Fahrer des Milchwagens Neuigkeiten von den anderen Höfen brachte.
Heute war Marie unter ihnen, die oft genug Gegenstand ihrer Unterhaltung war.
Marie wohnte im einzigen Mietshaus. Hoch unter dem Dach hatte sie zwei kleine Zimmer behaglich eingerichtet.
Marie war anders.
Marie mied man.
Sie putze samstags die Wohnung und das Treppenhaus, kippte erst dann das schmutzige Wischwasser ins Blumenbeet, wenn die anständigen Familien beim Nachmittagskaffee saßen.
Sie entehrte das Wochenende.
Sie arbeitete in der Woche in der Firma am Stadtrand, engratete Teile aus Bakelit.
Sie arbeitete wie ein Mann, trug ebensolche Hosen wie die Männer, aus blauem Drill.
Ihr Mann war verschollen im Krieg. Sie lebte allein.
Besonders Klara betrachtete Marie verstohlen.
Klara wohnte mit ihrem Mann in der Wohnung unter Marie, hörte in manchen Nächten den schweren Schritt eines Mannes, der unerkannt die Treppe hinaufstieg.
Vor einem Jahr war es Willi gewesen, Klaras eigener Mann, der die Nächte, in denen er nicht schlafen konnte, im Gespräch mit Marie verbracht hatte.Willi war später mehrere Monate lang zur Marie gezogen, während Klara sich eine Etage tiefer, die Augen ausweinte.
Aber er war zurückgekehrt. Klara konnte den Kopf in den Nacken werfen.
Die Kinder, noch im Vorschulalter, spielten unweit entfernt. Die Mädchen trugen luftige Baumwollkleidchen, die stämmigen Kinderbeine waren braungebrannt. Die kurzen Lederhosen der Jungens glänzten vor Dreck. Ihnen machte die schwüle Sommerhitze nichts aus. Sie tollten ums Haus, überschrieen sich in ihrem Übermut. Laut hallte ihr Lachen zu den Frauen.
Auch Klaras Enkel war dabei. Klara hatte den Kindern eine lange Liegewanne aus Aluminium vor das Haus gestellt. In dieser spülte sie sonst an jedem zweiten Dienstag die Wäsche und an jedem Wochenende stellte sie sie in die Wohnküche, befüllte sie mit Wasser. Dann badeten Willi und sie nacheinander darin.
Heute tronte Heinzchen, der Enkel, in dieser Wanne. Voller Wonne patschte er mit seinen kleinen Händen in das Wasser, dass es nur so spritzte und die rundherum spielenden Kinder naß wurden.
War das ein Spaß in der sengenden Hitze.
Klara holte auch die Puppe heraus, mit der sie als Kind gespielt hatte. Es war ihre einzige gewesen und somit ihr ganzer Kindheitsstolz, weil diese einen Kopf aus echtem Porzellan hatte.
Anna war die Tochter von Klaras ältestem Bruder. Anna spielte selten mit Puppen und Thomas, ihre einzige Puppe, saß meist verlassen in einer Ecke ihres Kinderbettes. Anna glich ihrem Vater und hätte so gern ausgesehen, wie ihre Mutter, die aus dem Ruhrgebiet stammte und fast wie Schneewittchen aussah, mit ihrem dunklen Haar.
Heute jedoch hielt Anna die Puppe im Arm.
Anna war vier Jahre alt, Jürgen war fünf. Sie trabten an jedem Tag gemeinsam in den Kindergarten und hatten sich lieb. Sie würden später heiraten. Das hatten sie vor wenigen Tagen beschlossen. Und darum spielten sie nun Familie. Anna war die Mutter, Jürgen der Vater, Heinzchen ein Kind, die Puppe das andere.
Die Frauen lächelten. Das war ein braves Spiel. Da war die Ehe noch Spiel und voller Unschuld.
Anna hatte vor Eifer gerötete Wangen. Ihre blonden Locken kringelten sich auf der heißen Stirn. Anna war es heiß. Das nasse Kleidchen klebte an ihrem Körper. Jürgen hatte schon längst seine Hose ausgezogen und sprang splitternackt zu Heinzchen in die Wanne. Darin war Platz für mindestens drei. Auch noch für Anna und auch für die Puppe.
Anna streifte das Kleid ab. War ganz nackt. Das war nichts Schlimmes für Anna. Sie war immer nackt, wenn sie mit ihrem Bruder in die Wanne gesteckt wurde.
Anna schämte sich nicht. Anna löste die Schnalle der roten Sandalen, in denen ihre nackten Beine steckten.
"Pfuii!!!!!!! Anna! Das Du Dich nicht schämst! Nackt!!!!! Pfuii. Du verkommenes Miststück. Wie sollte es auch anders sein, bei Deiner Mutter, der Kohlenpötterin. Das sage ich Deinem Vater!"
Laut hallte Maries Schrei durch die stickige Luft. Anna erschrak, zog ihr Bein zurück, das schon ausgestreckt den Wannenrand erreicht hatte. Annas Herz klopfte wild. Die Puppe entglitt ihrer zitternden Hand. Der Puppenkopf zerbrach in tausend Scherben. Die Glasaugen kullerten über die Steine.
Etwas in Anna zerbrach.
Es erwachte die Scham.
Tränen liefen aus den Augen.
Nichts war wie vorher, an diesem Sommertag.


(c) Annette Gonserowski

Angekommen

Heute wieder
das Schweben,
intensiv,
federleicht -
es trägt.

Nirgendwo
die Spur
der Angst.

Heute
das Wissen:
angekommen
bei Dir.

(c) Annette Gonserowski

24. April 2006

Einnisten

Wenn ich still sitze,
an nichts Bestimmtes denke,
ein wenig träumen möchte,
dann kletterst Du,
leise,
um mich nicht zu stören,
über die Lehne des Sofas
hinauf auf die Schulter,
meldest
leise
Deine Ankunft ins Ohr,
schlüpfst behende hinein,
nistest Dich in meinen Gedanken ein.

(c) Annette Gonserowski

Autorenkreis-Tagung

Beim Öffnen der Tür
betrittst du diese Welt
der Gleichen,
hörst Gesprochenes,
das der Alltag verschweigt,
sagst selbst Worte,
die du sonst sorgsam
im Innern bewahrst,
rührst das Augenleuchten
verschämt in den Kaffeesatz.

(c) Annette Gonserowski

23. April 2006

Trügerisch

Tschernobyl

Es war,
als würd’ es ein schöner Frühling werden.

Pünktlich Hyazinthe und Sommervogel,
pünktlich Lärchengrün,
pünktlich auch die erste laue Nacht.

Freude auf alles altbekannte Neue,
Freude auf Sonnenfluten,
Freude auch auf jeden neuen Tag.

Von Osten
zogen unsichtbare Wolken,
entluden ihre unheilvolle Fracht.

Gefährdet Hyazinthe und Sommervogel,
gefährdet Lärchengrün,
gefährdet wir.

Oh, trügersiche Frühlingspracht.

© Annette Gonserowski
geschrieben 1986

22. April 2006

Wien


Wien-Margareten- Margaretenplatz

für Vienna

Er war in ihrer Stadt.

Vom Westbahnhof aus nahm er die U-Bahn. An der Station Pilgramgasse stieg er aus. Die Türen des Zuges schlossen sich quietschend, bevor er in Richtung Hütteldorf entglitt.

Er war angekommen in dem Stadtteil, den er als den ihren betrachte. Hier hatte sie ihre Kindheit verbracht.

Niemand erwartete ihn. Er schloss sich der eilenden Menge an, stieg die ausgetretenen Stufen der Steintreppe hinauf. Der Trolli wog schwer in seiner Hand. Mit der freien Hand berührte er die steinernen Blumen an den Wänden: Margareten begrüßte ihn. Draussen fiel Nieselregen in feinen Strichen, spiegelte die Lichter des Adventsschmuckes auf der regennassen Straße, verdoppelte sie. Wien strahlte Zauber aus.

Aus dem Fenster des Hotels an der rechten Wienzeile fiel sein Blick in einen kleinen Hinterhof, über den der Himmel als dunkles Quadrat sichtbar war. An der Hauswand gegenüber fröstelte eine einsame Geranie in einem Blumenkübel in dem Regen. Eine Treppe führte vom ersten Stockwerk hinunter ins Freie. Die Gardinen an der Terrassentür waren zur Seite geschoben, eine Frau schaute zu ihm herüber, zog sich ins Zimmer zurück, als ihre Blicke sich begegneten.
Er hatte sie nie gefragt, ob sie von ihrem Zimmer in einen Hinterhof geschaut hatte. Vieles hatte er sie nicht gefragt, weil es nicht wichtig war. Heute waren es diese fehlenden Kleinigkeiten, ohne die sich nun ihr Leben für ihn im Nebelgrau verlor.

Er schlief traumlos in dieser ersten Nacht. Am Morgen weckten ihn Schritte, die sich im Flur seinem Zimmer näherten. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte er, dass es ihre Schritte sein würden. Er wünschte sich , dass sie vor seiner Tür innehalten und sie bei ihm sein würde. Aber die Schritte stockten nicht vor seiner Tür, gingen weiter, entfernten sich, verhallten in dem langen Gang, der zum Aufzug führte.

Beim Frühstück im großen Saal ließ er sich von der Stimmenvielfalt umhüllen, versuchte den Tonfall zu erhaschen, der ihn wienerisch anmutete. Wienerisch - diese charmant-leichte Sprache, mit der sie zu ihm gesprochen hatte, die seitdem in seinen Ohren klang, wann immer er daran dachte.

Als er die Straße betrat und in die Pilgramgasse einbog, regnete es noch immer. Das Prasseln des Regens auf seiner Wachsjacke mischte sich mit seinem Herzklopfen. Sein Herz schlug schneller, schien mehr Raum zu beanspruchen. Zum ersten Mal war er in ihrer Stadt, ging auf Wegen, die sie gegangen war, viele Male. Ihr Kinderbild entstand verschwommen vor seinen Augen.

Einmal hatte sie ihm geschrieben: "Ich war ein stilles Kind. Wahrscheinlich bin ich heute darum so unbändig..."
War sie unbändig? Er wußte es nicht.
Die Worte, die sie ihm schreib, waren voller Zartheit und Zauber, voller verhaltener Melancholie. Nur ihre Worte kannte er. Ihre Worte, die er liebte, die ihn träumen ließen, ihn hellwach machten, die er mitnahm in seine Träume, in seinen Tag, mit denen er lebte und die ihn letztendlich losfliegen ließen in ihre Stadt, die sie liebte.

Wenn er in Wien sein würde, hatte er gedacht, würde er folglich in ihrer Liebe sein, würde sie ihn mit der Stadt lieben, für die Zeit seines Dortseins.

Sie lebte nicht mehr in dieser Stadt, hatte sie lang schon verlassen. Aber sie würde wiederkommen, hatte sie geschrieben. Sie hatte geschrieben: "Man kann eine Wienerin aus Wien entfernen, aber niemals Wien aus dem Herzen einer Wienerin."

Und nun war er in ihrer Stadt, ging den gleichen Weg, den sie wohl tausend Mal und mehr gegangen war. Es war wie Angekommensein. Zum ersten Mal war er an einem Ort, an dem sie gewesen war.

Der Wind, der durch die Straße fegte, schien ihren Atem zu tragen. Er ließ sich von ihm vorwärtstreiben, ging auf der Pilgramgasse in Richtung des Margaretenplatzes.
Margarete auf ihrem Sockel am Brunnen schaute mitleidig auf ihn herab. Aus ihren Haaren tropfte der Regen. Der Drache, bezwungen und zahm, wand sich zu ihren Füßen.
Er schaute Margarete an, hielt stumme Zwiesprache mit ihr: "Margarete, bitte erzähle mir von ihr." Doch Margarete schwieg beharrlich in den Morgen.
Er betrachtete den Brunnen zu Margaretens Füßen, aus dem kein Wasser rann. Wenn das Wasser laufen würde, würde es wie ein Wasserfall plätschern.

Ein Wasserfall... Ob sie sich wohl erinnerte? Sie hatte ihm einmal einen Wasserfall geschenkt, damit er an sie denken sollte, wann immer er zu einem Wasserfall kommen würde.
Er hatte ihr einen Tautropfen geschenkt. Ob sie das noch wußte? Wie würde sie ihn finden, den Tautropfen, in dieser großen Stadt?

Er hielt Ausschau nach seinem weiteren Weg. Das prächtig geschmiedete Gittertor verwehrte ihm den Einlaß in den Margaretenhof. Wäre er Postbeamter, wie einst ihr Vater, so könnte er Briefe in jeden Briefkasten der unzähligen Häuser werfen. Vielleicht würde ein Brief sie erreichen und die Worte darin, die er ihr niemals gesagt hatte. Vielleicht würde er diese Worte schreiben, würde schreiben, wie gern er sie hatte.

Er bog nach rechts in die Margaretenstraße ein. Nun wurden seine Schritte langsamer.
Dies war ihr Schulweg. Gern wird sie ihn gegangen sein, wißbegierig und voller Freude. Das hatte sie ihm erzählt.

Laut hallten seine Schritte auf dem Pflaster des Bürgersteiges, verfingen sich in den Häuserzeilen. Sein Herz klopfte lauter: hier irgendwo mußte ihre Volksschule sein. Vor dem Haus Nr. 103 blieb er stehen. Er war bei bei ihrer Schule angekommen. In Stein gehauen las er es: Volkschule. Das schwere Eichenportal war geschlossen. Die eiserne Türklinke der kleineren Tür daneben drückte er mit zitternden Händen. Die Tür öffnete sich, gewährte ihm Einlass in ihre Kindheit. Über das Kopfsteinpflaster des Rundbogenganges betrat er den Innenhof. Er war auf dem Schulhof angelangt. Der Regen tropfte von den mächtigen Zweigen der alten Platanen auf die verwaisten Bänke. Auf dem nassen Pflaster des Schulhofes schimmerte das Grau des Himmels.

Er war bei ihr angekommen.

Er achtete nicht auf die Nässe, setzte sich auf die Bank, deren verwitterte Bohlen ihn einluden, zu verweilen. Er schaute zum geöffneten Eingang der Schule, der im Gebäude am Ende des Schulplatzes zum Eintreten einlud. Nein, er durchschritt ihn nicht, widerstand der Versuchung.
Unter dieser alten Platane war er ihr nah. Diese hatte sie gesehen, hatte ihr Lachen gehört, ihre Ausgelassenheit, ihren Zorn. Auch ihre Schüchternheit wird sie erkannt haben, ihre Traurigkeit, wenn andere Kinder kleine Figuren aus den Überraschungseiern tauschten, die sie niemals besaß. Ihre Kindheit war karg und das Geld war knapp gewesen. Aber sie hatte diese Schule verlassen und das Gymnasium in Margareten auch dann besucht, als sie längst schon in einem anderen Bezirk gewohnt und die Straßenbahn sie laut ratternd hierhin zurückgefahren hatte.
Die Blätter der Platane bewegten sich schwer in der Nässe, er verstand ihre Sprache nicht. Von ihnen erfuhr er nichts Neues. So hing er seinen Gedanken nach, bis die Kälte durch den festen Stoff der Jacke kroch und ihn schaudern ließ. So brach er auf, betrachte noch einmal die Mauern, die ihr Lachen bewahrt hatten, ihre Nähe und nun auch seine Sehnsucht aufnahmen, zwischen die Ritzen des verwitterten Putzes.

Als er die Straße betrat, erhaschte er den Blick einer alten Frau, die, auf einen Stock gestützt, mühsam aus der Haustür trat. Wie lange wohnte sie in diesem Haus? Wieviele Jahre? Vielleicht hatte sie sie gesehen, als sie täglich die Schule verließ. Vielleicht hatte sie ihr Bild in ihrem Herzen bewahrt.

Er fragte sie nicht.
Er ging langsam den Weg zurück zum Margaretenplatz.
Die niedrigen Biedermeierhäuser an seinem Weg erzählten ihm lange Geschichten, so dass er sie verweilend betrachtete.

Er war in sich gekehrt, ging auf ihren Wegen, die ihm nah und vertraut waren im Unbekannten, auf denen er die Spur berührte, die sie dort zurückgelassen hatte auf alle Zeit, zu der auch er zurückkehren konnte, wann immer er es mögen würde.

Nun wünschte er sich ihre Hand, die ihn sicher führen würde auf diesem Weg, der soviel Nähe in sich trug und schmerzliches Vermissen. Er ging an ihren Worten entlang, hangelte sich mit ihnen von Häuserzeile zu Häuserzeile, während der Regen unablässig vom Himmel tropfte.

Beim Silberwirt hielt er erschöpft inne, stärkte sich mit der Kost des Landes, trank für das Prickeln einen Schluck von der Vösslauer Quelle und fühlte sich allein.

Am anderen Tag verließ er Margareten, verließ Wien mit dem Flugzeug gen Norden, verließ die Wärme der Stadt, tauchte ein in die Kälte der kargen Heimat.

(c) Annette Gonserowski

Vorbei

Das kleine Cafe
am Rande der Welt
hat die Tür verschlossen
mit Spinnweben,
die blinden Fenster
knarren im Wind.

Keine zarte Verführung
mit Sahnehäubchen,
kein Traum
im Spiegelbild,
keine Antwort
im Kaffesatz,
kein Glück
zwischen Polstern und Kissen,
kein Blick
in die Seele,
kein Schwingen
im Gleichmaß.

Auf leeren Regalen
vergessen die Wünsche.

(c) Annette Gonserowski

Besuch des Freundes

Elmar war bei uns, unser Freund seit vielen Jahren.
Nun ist es nicht einmal vierundzwanzig Stunden her, seit er bei uns ankam.
Mehr als neun Stunden sind bereits vergangen, seit er von uns Abschied nahm.

Langersehnte, kurze, intensive Zeit des Glücks.

Ein Wiedersehen nach über zwei verstrichenen Jahren. Spüren einer Freundschaft, die vor sechzehn Jahren begann, die einer überwiegenden Trennung von mehr als dreizehn Jahren und einer Entfernung von acht Flugstunden standhält.

Bei seiner Ankunft wieder dieses intensive Gefühl der Nähe und das grenzenlose Erstaunen hierüber.

Eigenartig vorher dieses fiebrige Erwarten der Ankunft, dann die Freude, die nicht zu bändigen ist, bei der das Herz mehr Raum benötigt, die die Enge der Haut spürbar macht, die aus den Augen hervorbricht und den Mund strahlen läßt.
Freude - bei der die Worte sprudeln wollen und die letztendlich doch sprachlos macht.

Fassungslose Erleichterung, weil die Umarmung genauso herzlich ist wie früher, das altbekannte Funkeln in den Augenwinkeln blitzt und sein strahlendes Lächeln Worte überflüssig macht.

Und auch:
die Angst, die sich einschleicht, ob nicht überreizte Sinne die Wahrnehmung verwirren, Gefühle Clownsspiele treiben und dies Glück gar nicht existiert.

Zurückhaltender schon -
vorsichtiges Tasten.
Es werden Entfernung meßbar, verflossene Monate spürbar.

Sehnsucht nach Nähe.

Ein kaum merkbares Klimpern seiner Augen: wie vertraut es ist - wie lange schon vermißt. Es reißt kaum errichtete Mauern ein, bietet der Erleichterung Raum.
Natürlich sind Monate verflossen, die man nicht gemeinsam erlebte, natürlich ist die Entfernung nicht nur in Kilometern zu messen und natürlich gibt es nicht nur Ländergrenzen...
Das gegenseitige Verlangen, Verflossenes nachzuvollziehen, Vergangenes greifbar zu machen, bietet aufkommen wollendem Schmerz kein Platz.

Kurz nur die zur Verfügung stehenden Stunden -
unaufhaltsam die tickende Uhr.

Noch intensiver die Gedanken, mutiger die Worte im Wettlauf mit der verrinnenden Zeit.
Zum Zerbersten beteiligt alle Sinne, bereit die Kostbarkeiten aufzunehmen.

Und doch:
es bleiben Gedanken verborgen, Worte unausgesprochen, es bleibt der Wunsch festzuhalten.
Stärker die Sehnsucht nach Nähe.

Heute morgen fuhr er fort.
Die Tränen in seinen Augen- eigentlich hatte ich sie nicht erwartet und doch überraschten sie mich nicht.
Überrascht haben mich seine Worte: "Ich bin froh, daß Du lebst..."

Verbannt die Wäsche des Gästebettes in die Waschmaschine, anvertraut den Duft seines Rasierwassers dem geöffneten Fenster des Gästebades, verankert die unstillbare Sehnsucht in jede Kammer des Herzens.
Spürbar in jedem Raum seine Nähe.
Aufbewahrt im Innern die Gefühle, die wiederum ausreichen um zwei Jahre zu überbrücken.
Kostbar das Erinnern an jede Minute seines Hierseins.


(c) Annette Gonserowski

21. April 2006

Impressionen vom Kap San Antonio
















Die Nachtigall auf dem Kap San Antonio




Die Nachtigall,
gefangen im Hofe
des Leuchtturms
hoch auf den Klippen
der Puntra Negra,
über dem blauen Meer.

Geblendete Augen
sehen nicht
gleißende Sonne, nicht
Leuchten des Feuers,
das Strahlen wirft
übers unendliche Meer.

Lauscht kalkweißem Lachen
der Möwen,
dem stockenden Schritt
eines Fremden,
lauscht der Ferne,
dem lockenden Meer.

Da kriecht die Trauer
des Fremden
zu ihr durch das Gitter,
sie spürt seinen Herzschlag
hoch über dem schmeichelnden Meer.

Beginnt nun zu singen
ihr Lied für den Fremden,
von Leben und Freiheit.
Lachen der Möwen
ertrinkt in der Brandung,
in rollenden Steinen,
im tosenden Meer.

(c) Annette Gonserowski

20. April 2006

Ein Abend im Süden

Ein Abend im Süden, auf der Terrasse eines Hauses in Spanien.

Flaches Licht, haltsuchend im Palmwedel, fortgeweht zum Pinienzweig, auch heute ufgescheucht vom Girlitz, der es krächzend zum Bergmassiv treibt, an dessen karger Gebirgswand es eine kurze Zeit leuchtend verweilt, vergeblich wie jeden Tag, um hinter ihm zu verglühen.

Überall das Rauschen des Meeres ganz nah.
Dieses nie endende Brausen, das Bringen und Nehmen, das Kommen und Gehen, Ankunft und Abschied.

Palmwedel, dattelträchtig, schwarfzüngig und biegsam, durchzogen vom rastlosen Wind.
Wind, der auch mich umschmeichelt, er kam über das Meer, trägt Gischt und Geschichten von Wasser und Inseln.
Streicht über die Wangen, die Arme, den Körper. Läßt Salz zurück auf den Lippen, den Geruch dieses Meeres, die Ferne, das lockende Sehnen.

Schon tiefschwarz der Himmel, industriedunstlos und nachtklar, raumgebend dem Meer entsprungenen Mond, den leuchtenden Sternen, dem jagenden Orion.

Unter dem Strauch das Stakkato der Zirkaden. Auch sie schlaffrei und rastlos.
In der Ferne bellende Hunde. Beutegewohnt durchstöbert ein streunendes Rudel Müll an den Straßen.
Lautlose Tatzen der wildernden Katzen umschleichen das Haus.

Nun wieder Stille.
Nur Brausen des Meeres, das Schmeicheln des Windes, das Spiel der Gedanken.
Und ich Dir ganz nah.

(c) Annette Gonserowski

Manchmal

Manchmal
spür ich eine Leichtigkeit,
atme dann
Blüten an die Zweige,
hüpfe auf Sonnenstrahlen,
kitzle dem Schläfer
die Müdigkeit aus den Augen,
schwebe,
habe weiße Taubenflügel.

Manchmal
such ich Blumen unter dem Schnee
und Abendrot im Nebel,
such Zeichen eines Lebens.
Such und such,
oftmals vergebens.
Dann sind nicht nur die Füße schwer,
hab dann auch keine Flügel.

(c) Annette Gonserowski

19. April 2006

Erinnern

Gewidmet: den Ärzten, die meinen Mann behandelten, ganz besonders unserem Freund Hartmut

Die Berge lagen dunkel gegen den Horizont, über den der Himmel gen Westen purpurn im Abendrot leuchtete.
Gen Osten, im Widerschein, zogen einzelne Wolken. Sie teilten den Himmel, wie Zeilen eines Gedichtes über die Liebe.
Sie saß in ihrem Auto und fuhr über die Autobahn. Bei der nächsten Abfahrt mußte sie diese verlassen. Nur wenige Minuten später würde sie die Klinik erreichen. Was mochte sie erwarten?
Man hatte sie angerufen.
Man hatte gesagt, ihr Mann sei schwer verletzt.
Man hatte gesagt: er wäre im Krankenhaus, sie solle schnell kommen.
Mehr wollte man nicht sagen.
Sie fuhr zügig, aber gelassen. Die Worte waren nicht bis zum Herzen vorgedrungen.
Nur einmal durchzuckte sie der Gedanke: "Was wäre, wenn ...?"
Der Mut verließ sie nicht, als eine Ärztin zu ihr trat und sie aufklärte: " Er wird es nicht überleben" - sie glaubte ihr nicht.
Als der Freund, selbst Arzt und herbeigerufen, strammen Schrittes hinter der Tür verschwand, hinter der der Verletzte lag und wiederkehrte mit schleppenden Schritten, da verließ sie der Mut.
Sie ließ man nicht zu ihm.
Sie konnte nur fassungslos seine Beine erblicken, als man ihn auf der Trage in den Hubschrauber lud, der ihn in die Spezialklinik bringen würde.
Seine Beine, die sie so liebte, bloß und nackt lagen sie auf der Trage.
Diese sah sie, bevor man den Arm um sie legte und zur Seite führte.
Seine Beine - die sie fasziniert hatten, beim Kennenlernen. In maßgeschneiderter Hirschlederreithose und engen Reitstiefeln wirkten sie damals atemberaubend und endlos lang.
Diese Beine sah sie.
Ihn ließ man sie nicht sehen.
Sie sah ihn am nächsten Tag, als die Ärzte nach stundenlanger Operation sein Leben erhalten hatten. Nein, - er war noch nicht über den Berg. Das sagte der Arzt, den man ihr zur Seite gestellt hatte, bei dem ersten Besuch an seinem Bett und danach bei vielen weiteren Besuchen.
In diesem Bett lag er, angeschlossen an laut piepsende Monitore und Aufzeichnungsgeräte, die jegliche Regung seines geschundenen Körpers erbarmungslos deutlich machten.
Nackt und bloß, die Arme und Beine mit Schlingen fixiert, Schläuche am Kopf und an vielen Stellen des Körpers, die Augen rot und prall wie kleine Tomaten vor dem Kopf. Schädelhirnverletzung.
Der Arzt schaute sie an, mit intensivem Blick: "Das menschliche Gehirn ist regenerierungsfähig".
"Das menschliche Gehirn oder speziell das meines Mannes?" Sie schaute ihn fragend an.
"Das menschliche Gehirn generell..."
Und sie nahm ihn beim Wort.
Und sie wußte: dieser Arzt meinte das Gehirn ihres Mannes, kein anderes, seines würde regenerieren..
So überstand sie Tage und Nächte, in denen sie nicht schlafen konnte, die sie im Sessel sitzend verbrachte, weil die Gedanken zu schwer waren und zu umfangreich, um in ihrem Kopf Raum zu finden, oder ihn auf ein Kissen zu betten.
Als man den Verletzten nach zwei Wochen erwachen ließ, riß er an den Fesseln, kannte sie nicht, nicht Worte, um dies zu benennen.
"Dies ist das typische Aufwachsyndrom - nichts Unnormales.." Die Ärztin wandte sich wieder ihrer Arbeit am Nebenbett zu.
"Wie lange dauert es denn, dieses Aufwachsyndrom?" Zagfthaft schaute sie zur Ärztin.
"Das Gehirn eines jeden Menschen ist anders.Jede Verletzung ist anders. Was leicht erschien, ist nach dem Erwachen schwer, was irreparabel erschien, erweist sich später als hoffnungsvoll. Es kann zwei Wochen dauern oder nie vergehen. Niemand weiß das.."
Da versagten ihr die Füße und der Mut, so setzte man sie auf einen Stuhl, schob ihn an sein Bett. Sie legte ihr Gesicht nah seinem Körper, roch den vertrauten Duft seiner Haut, weinte still in die Kissen. Da kam die gefesselte Hand, kaum reichten die Finger zu ihrem Gesicht, berührte sanft ihre tränennasse Wange.
Da kam der Mut zurück und die Hoffnung in ihre Augen.
Wenige Wochen später setzte man ihn an das Fenster, damit er schauen konnte, wenn sie das Auto auf der Straße gegenüber in die Parklücke fuhr.
Sie sah das Fenster im dritten Stock. Meist war die Gardine zur Seite gezogen und sein Kopf, nun schon von den Verbänden befreit, schmal geworden und fast so klein wie ein Kinderkopf, war hinter der Scheibe zu erkennen.
Sie hatte ihn im Blick, wenn sie winkend die Außentreppe hinauflief, leicht bis zum ersten Stock, dort über die Plattform lief, hin zu der zweiten Treppe, winkend aus seinem Blickwinkel verschwand und auch ihn erst wieder sah, wenn sie die letzte Treppe hinaufging, nun schon langsamer geworden und oft verzagt.
Sie erkannte er, erinnerte sich ihres Names, erinnerte sich ihrer Vertrautheit - aber Anderes war ihm fern, lagerte in Nebelwänden. Sie sprach mit ihm, erzählte Geschichten vom Meer und der Brandung, bedeckte die trockenen Lippen mit Küssen , erzählte vom Geschäft und blühenden Gärten, von Oma und Vater und Hund und dem Flugzeug am Himmel, das er doppelt sah.
Er schaute sie stets mit fragenden Augen an, erkannte ein Wort. Und vergaß es.
Am nächsten Tag erkannte er zwei Wörter, behielt eins im Gedächtnis. Am weiteren Tag erkannte er noch eins und behielt es im Herzen. So gesellte sich Wort an Wort. Er hangelte sich an den Worten heraus aus dem Nebel, glitt wieder mit ihnen zurück, wenn sie den Halt verloren.
Am Arm des Pflegers durfte er die wenigen Meter bis zur Toilette gehen, niemals weiter und niemals allein. Er wußte genau, was hinter der Wand neben seinem Bett war.
Sie parkte den Wagen gegenüber des Fensters, nun schon erschöpfter. Ging langsamer die erste Treppe hinauf.
Da sah sie ihn.
Sah seinen Kopf, den sie so liebte, schemenhaft und zart hinter der Scheibe. Ihr Herz schmerzte, wenn sie ihn sah. Sie winkte ihm zu und sich Mut in ihr Herz. Ihre Füße wurden schneller: sie winkte mit beiden Armen, erreichte die erste Plattform. Wieder winkte sie, ging weiter, das Fenster entschwand ihren Blicken, er entschwand ihren Blicken und mit ihm der Mut. Ihr Herz schlug mühsamer, Sorgen über Sorgen und Müdigkeit lasteten schwer auf ihr.
Bei der nächsten Treppe kam das Fenster wieder in ihren Blick.
Sie erschrak: das Fenster war leer, die Silhouette seines Kopfes verschwunden!
Sie lief atemlos die Treppe hinauf, Stufe um Stufe schneller werdend, zur letzten Plattform. Die Stufen wollten nicht enden.
Sie stieß die Tür auf.
Der Gang im Innern des Hauses schien endlos. Sie rannte ihn entlang.
Atemlos riß sie die Zimmertür auf und da hörte sie es: der Motor seines Rasierapparates summte.
Ihr Herz schlug wild.
Sie machte die Badezimmertür auf: da sah sie im Spiegel seine Augen.
Sie strahlten sie an, aus tiefen Augenhöhlen im kahlen Schädel...
*Fühl mal... meine Wangen.. ganz glatt. Sie kratzen Dich nicht..."

(c) Annette Gonserowski

Impressionen aus Berlin Mitte