Da ich am Muttertag in Frankreich weilte, möchte ich hiermit nachträglich und traditionell diesen Text zum Muttertag veröffentlichen. Er stammt aus dem Buch, das ich in Gedenken an meine Mutter nach ihrem Tod schrieb. Als Kind pflückte ich in jedem Jahr einen Strauß Sumpfdotterblumen und brachte ihn ihr zum Muttertag:
Liebe Mutti !
Laß mich vom Frühling erzählen! Von den heimgekehrten Schwalben, die hoch in den stahlblauen Himmel stoßen, um nah den weißen Wolken die Mücken zu jagen. Von den saftiggrünen Wiesen, aus denen die Blüten des Löwenzahns leuchten, den sattgelben Sumpfdotterblumen am Bach, dem Wiesenschaumkraut, das überschwenglich Besitz von den Wiesen nimmt.
Laß mich erzählen von dem Überschwang der blühenden Obstbäume hinter Deinem Haus, die Deinem Grundstück für eine Weile den Zauber filigraner Schönheit verleihen.
Laß mich erzählen von dem hellen Grün der Lärchen, den zarten Blättern der Buchen, die Akzente zwischen dunkle Tannen setzen. Erzählen von den jungen Trieben der Tannen, die über dunklen Zweigen leuchten, von den Kerzen der Kastanien, auch in diesem Jahr.
Laß mich erzählen, von den springenden Wellen des Baches, den Wasserläufern im Tümpel, dem Vergißmeinnicht an seinem Ufer.
Laß mich erzählen von blühenden Hecken am Feldrain, vom Duft der die Sinne betört.
Laß mich erzählen, von den jungen Tieren, die ihren ersten Frühling erleben: dem feingliedrigem Kitz, dem anmutigen Fohlen, dem fröhlichen Lämmchen, dem Kälbchen, das übermütig um seine Mutter springt. Laß mich erzählen von neuem Leben.
Laß mich erzählen von jubilierenden Vögeln.
Laß mich erzählen von den Blumen in Deinem Bauerngärtchen, den Stauden, die vorsichtig ihre Knospen öffnen, Tag für Tag mehr, von Tulpen, Traubenhyazinthen und Tränenden Herzen....
Laß mich erzählen vom Schmetterling..........
Laß mich erzählen von wärmenden Tagen, von sternklaren Nächten und vom Kometen, der den Sichtkreis unseres Planeten verläßt.
Laß mich erzählen vom Leben.
Doch laß mich schweigen, von der Traurigkeit, den Tränen, die unterdrückt hinter den Lidern lauern. Laß mich verschweigen die Einsamkeit, laß mich vergessen die Hoffnungslosigkeit und die Worte, die ungesagt schwer auf dem Herzen lasten.
Laß mich verschweigen, wie sehr Du mir fehlst.
(c) Annette Gonserowski
aus: Liebe Mutti - Ein Abschied.