Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




Dieser Blog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.








30. April 2006

Frühling



Beim Schwarzdorn
schließe ich die Augen,
atme den Duft
des vergangenen Frühlings,
atme die Worte,
die mir galten,
atme den Wind,
der sie forttrug.

(c) Annette Gonserowski

29. April 2006

Dusche




Komm näher,
sieh das Leuchten
in meinen Augen,
sieh Deine Glut,
sie bricht sich
im Tropfen
auf meiner Haut!

Verschwommener Augenblick.

Sieh den Wasserstrahl,
wie er rinnt,
gleich liebkosenden Händen,
warm, sanft,
dass die Knospen
der Liebe erblühen.

Komm näher
spüre die Nässe,
berühr.

(c) Annette Gonserowski

26. April 2006

Das Erwachen der Scham




















Flirrend stand die Luft über den wenigen Häusern des bäuerlichen Gehöftes.Von den Wiesen kam das träge Muhen der Kühe, die auf den umliegenden Weiden müde und widerkäuend in der Sonne dösten. Das Pferd senkte im Halbschlaf seinen langen Kopf in den Schatten des alten Apfelbaumes, wedelte hin und wieder mit seinem Schweif lässig die lästigen Fliegen fort.
Die Wege zwischen den Häusern waren staubig. Die Erde zeigte Risse nach dieser langen Trockenheit.

Die Blumen in den Bauerngärten blühten üppig in diesem Jahr: Gladiolen ragten in die gleißende Sonne, Dahlien in den vielfältigsten Farben und der blaue Rittersporn. Wicken rankten an der verwitterten Wand der alten Holzscheune. Am Bogen, der das Gartentor überrundete, dufteten die Rosen des alten Rosenstocks, den schon die Großmutter gepflanzt hatte.
Die Frauen saßen vor der Haustür, an diesem Nachmittag, hatten das Flickzeug mit nach draussen genommen. Eine pulte die ersten jungen Erbsen aus den noch zarten Schoten.
Auch die Frauen waren träge in der Hitze des frühen Nachmittags, wechselten einzelne Worte. Was gab es schon zu erzählen, in dieser Einsamkeit, in der höchstens der Fahrer des Milchwagens Neuigkeiten von den anderen Höfen brachte.
Heute war Marie unter ihnen, die oft genug Gegenstand ihrer Unterhaltung war.
Marie wohnte im einzigen Mietshaus. Hoch unter dem Dach hatte sie zwei kleine Zimmer behaglich eingerichtet.
Marie war anders.
Marie mied man.
Sie putze samstags die Wohnung und das Treppenhaus, kippte erst dann das schmutzige Wischwasser ins Blumenbeet, wenn die anständigen Familien beim Nachmittagskaffee saßen.
Sie entehrte das Wochenende.
Sie arbeitete in der Woche in der Firma am Stadtrand, engratete Teile aus Bakelit.
Sie arbeitete wie ein Mann, trug ebensolche Hosen wie die Männer, aus blauem Drill.
Ihr Mann war verschollen im Krieg. Sie lebte allein.
Besonders Klara betrachtete Marie verstohlen.
Klara wohnte mit ihrem Mann in der Wohnung unter Marie, hörte in manchen Nächten den schweren Schritt eines Mannes, der unerkannt die Treppe hinaufstieg.
Vor einem Jahr war es Willi gewesen, Klaras eigener Mann, der die Nächte, in denen er nicht schlafen konnte, im Gespräch mit Marie verbracht hatte.Willi war später mehrere Monate lang zur Marie gezogen, während Klara sich eine Etage tiefer, die Augen ausweinte.
Aber er war zurückgekehrt. Klara konnte den Kopf in den Nacken werfen.
Die Kinder, noch im Vorschulalter, spielten unweit entfernt. Die Mädchen trugen luftige Baumwollkleidchen, die stämmigen Kinderbeine waren braungebrannt. Die kurzen Lederhosen der Jungens glänzten vor Dreck. Ihnen machte die schwüle Sommerhitze nichts aus. Sie tollten ums Haus, überschrieen sich in ihrem Übermut. Laut hallte ihr Lachen zu den Frauen.
Auch Klaras Enkel war dabei. Klara hatte den Kindern eine lange Liegewanne aus Aluminium vor das Haus gestellt. In dieser spülte sie sonst an jedem zweiten Dienstag die Wäsche und an jedem Wochenende stellte sie sie in die Wohnküche, befüllte sie mit Wasser. Dann badeten Willi und sie nacheinander darin.
Heute tronte Heinzchen, der Enkel, in dieser Wanne. Voller Wonne patschte er mit seinen kleinen Händen in das Wasser, dass es nur so spritzte und die rundherum spielenden Kinder naß wurden.
War das ein Spaß in der sengenden Hitze.
Klara holte auch die Puppe heraus, mit der sie als Kind gespielt hatte. Es war ihre einzige gewesen und somit ihr ganzer Kindheitsstolz, weil diese einen Kopf aus echtem Porzellan hatte.
Anna war die Tochter von Klaras ältestem Bruder. Anna spielte selten mit Puppen und Thomas, ihre einzige Puppe, saß meist verlassen in einer Ecke ihres Kinderbettes. Anna glich ihrem Vater und hätte so gern ausgesehen, wie ihre Mutter, die aus dem Ruhrgebiet stammte und fast wie Schneewittchen aussah, mit ihrem dunklen Haar.
Heute jedoch hielt Anna die Puppe im Arm.
Anna war vier Jahre alt, Jürgen war fünf. Sie trabten an jedem Tag gemeinsam in den Kindergarten und hatten sich lieb. Sie würden später heiraten. Das hatten sie vor wenigen Tagen beschlossen. Und darum spielten sie nun Familie. Anna war die Mutter, Jürgen der Vater, Heinzchen ein Kind, die Puppe das andere.
Die Frauen lächelten. Das war ein braves Spiel. Da war die Ehe noch Spiel und voller Unschuld.
Anna hatte vor Eifer gerötete Wangen. Ihre blonden Locken kringelten sich auf der heißen Stirn. Anna war es heiß. Das nasse Kleidchen klebte an ihrem Körper. Jürgen hatte schon längst seine Hose ausgezogen und sprang splitternackt zu Heinzchen in die Wanne. Darin war Platz für mindestens drei. Auch noch für Anna und auch für die Puppe.
Anna streifte das Kleid ab. War ganz nackt. Das war nichts Schlimmes für Anna. Sie war immer nackt, wenn sie mit ihrem Bruder in die Wanne gesteckt wurde.
Anna schämte sich nicht. Anna löste die Schnalle der roten Sandalen, in denen ihre nackten Beine steckten.
"Pfuii!!!!!!! Anna! Das Du Dich nicht schämst! Nackt!!!!! Pfuii. Du verkommenes Miststück. Wie sollte es auch anders sein, bei Deiner Mutter, der Kohlenpötterin. Das sage ich Deinem Vater!"
Laut hallte Maries Schrei durch die stickige Luft. Anna erschrak, zog ihr Bein zurück, das schon ausgestreckt den Wannenrand erreicht hatte. Annas Herz klopfte wild. Die Puppe entglitt ihrer zitternden Hand. Der Puppenkopf zerbrach in tausend Scherben. Die Glasaugen kullerten über die Steine.
Etwas in Anna zerbrach.
Es erwachte die Scham.
Tränen liefen aus den Augen.
Nichts war wie vorher, an diesem Sommertag.


(c) Annette Gonserowski

Angekommen

Heute wieder
das Schweben,
intensiv,
federleicht -
es trägt.

Nirgendwo
die Spur
der Angst.

Heute
das Wissen:
angekommen
bei Dir.

(c) Annette Gonserowski

24. April 2006

Einnisten

Wenn ich still sitze,
an nichts Bestimmtes denke,
ein wenig träumen möchte,
dann kletterst Du,
leise,
um mich nicht zu stören,
über die Lehne des Sofas
hinauf auf die Schulter,
meldest
leise
Deine Ankunft ins Ohr,
schlüpfst behende hinein,
nistest Dich in meinen Gedanken ein.

(c) Annette Gonserowski

Autorenkreis-Tagung

Beim Öffnen der Tür
betrittst du diese Welt
der Gleichen,
hörst Gesprochenes,
das der Alltag verschweigt,
sagst selbst Worte,
die du sonst sorgsam
im Innern bewahrst,
rührst das Augenleuchten
verschämt in den Kaffeesatz.

(c) Annette Gonserowski

23. April 2006

Trügerisch

Tschernobyl

Es war,
als würd’ es ein schöner Frühling werden.

Pünktlich Hyazinthe und Sommervogel,
pünktlich Lärchengrün,
pünktlich auch die erste laue Nacht.

Freude auf alles altbekannte Neue,
Freude auf Sonnenfluten,
Freude auch auf jeden neuen Tag.

Von Osten
zogen unsichtbare Wolken,
entluden ihre unheilvolle Fracht.

Gefährdet Hyazinthe und Sommervogel,
gefährdet Lärchengrün,
gefährdet wir.

Oh, trügersiche Frühlingspracht.

© Annette Gonserowski
geschrieben 1986

22. April 2006

Wien


Wien-Margareten- Margaretenplatz

für Vienna

Er war in ihrer Stadt.

Vom Westbahnhof aus nahm er die U-Bahn. An der Station Pilgramgasse stieg er aus. Die Türen des Zuges schlossen sich quietschend, bevor er in Richtung Hütteldorf entglitt.

Er war angekommen in dem Stadtteil, den er als den ihren betrachte. Hier hatte sie ihre Kindheit verbracht.

Niemand erwartete ihn. Er schloss sich der eilenden Menge an, stieg die ausgetretenen Stufen der Steintreppe hinauf. Der Trolli wog schwer in seiner Hand. Mit der freien Hand berührte er die steinernen Blumen an den Wänden: Margareten begrüßte ihn. Draussen fiel Nieselregen in feinen Strichen, spiegelte die Lichter des Adventsschmuckes auf der regennassen Straße, verdoppelte sie. Wien strahlte Zauber aus.

Aus dem Fenster des Hotels an der rechten Wienzeile fiel sein Blick in einen kleinen Hinterhof, über den der Himmel als dunkles Quadrat sichtbar war. An der Hauswand gegenüber fröstelte eine einsame Geranie in einem Blumenkübel in dem Regen. Eine Treppe führte vom ersten Stockwerk hinunter ins Freie. Die Gardinen an der Terrassentür waren zur Seite geschoben, eine Frau schaute zu ihm herüber, zog sich ins Zimmer zurück, als ihre Blicke sich begegneten.
Er hatte sie nie gefragt, ob sie von ihrem Zimmer in einen Hinterhof geschaut hatte. Vieles hatte er sie nicht gefragt, weil es nicht wichtig war. Heute waren es diese fehlenden Kleinigkeiten, ohne die sich nun ihr Leben für ihn im Nebelgrau verlor.

Er schlief traumlos in dieser ersten Nacht. Am Morgen weckten ihn Schritte, die sich im Flur seinem Zimmer näherten. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte er, dass es ihre Schritte sein würden. Er wünschte sich , dass sie vor seiner Tür innehalten und sie bei ihm sein würde. Aber die Schritte stockten nicht vor seiner Tür, gingen weiter, entfernten sich, verhallten in dem langen Gang, der zum Aufzug führte.

Beim Frühstück im großen Saal ließ er sich von der Stimmenvielfalt umhüllen, versuchte den Tonfall zu erhaschen, der ihn wienerisch anmutete. Wienerisch - diese charmant-leichte Sprache, mit der sie zu ihm gesprochen hatte, die seitdem in seinen Ohren klang, wann immer er daran dachte.

Als er die Straße betrat und in die Pilgramgasse einbog, regnete es noch immer. Das Prasseln des Regens auf seiner Wachsjacke mischte sich mit seinem Herzklopfen. Sein Herz schlug schneller, schien mehr Raum zu beanspruchen. Zum ersten Mal war er in ihrer Stadt, ging auf Wegen, die sie gegangen war, viele Male. Ihr Kinderbild entstand verschwommen vor seinen Augen.

Einmal hatte sie ihm geschrieben: "Ich war ein stilles Kind. Wahrscheinlich bin ich heute darum so unbändig..."
War sie unbändig? Er wußte es nicht.
Die Worte, die sie ihm schreib, waren voller Zartheit und Zauber, voller verhaltener Melancholie. Nur ihre Worte kannte er. Ihre Worte, die er liebte, die ihn träumen ließen, ihn hellwach machten, die er mitnahm in seine Träume, in seinen Tag, mit denen er lebte und die ihn letztendlich losfliegen ließen in ihre Stadt, die sie liebte.

Wenn er in Wien sein würde, hatte er gedacht, würde er folglich in ihrer Liebe sein, würde sie ihn mit der Stadt lieben, für die Zeit seines Dortseins.

Sie lebte nicht mehr in dieser Stadt, hatte sie lang schon verlassen. Aber sie würde wiederkommen, hatte sie geschrieben. Sie hatte geschrieben: "Man kann eine Wienerin aus Wien entfernen, aber niemals Wien aus dem Herzen einer Wienerin."

Und nun war er in ihrer Stadt, ging den gleichen Weg, den sie wohl tausend Mal und mehr gegangen war. Es war wie Angekommensein. Zum ersten Mal war er an einem Ort, an dem sie gewesen war.

Der Wind, der durch die Straße fegte, schien ihren Atem zu tragen. Er ließ sich von ihm vorwärtstreiben, ging auf der Pilgramgasse in Richtung des Margaretenplatzes.
Margarete auf ihrem Sockel am Brunnen schaute mitleidig auf ihn herab. Aus ihren Haaren tropfte der Regen. Der Drache, bezwungen und zahm, wand sich zu ihren Füßen.
Er schaute Margarete an, hielt stumme Zwiesprache mit ihr: "Margarete, bitte erzähle mir von ihr." Doch Margarete schwieg beharrlich in den Morgen.
Er betrachtete den Brunnen zu Margaretens Füßen, aus dem kein Wasser rann. Wenn das Wasser laufen würde, würde es wie ein Wasserfall plätschern.

Ein Wasserfall... Ob sie sich wohl erinnerte? Sie hatte ihm einmal einen Wasserfall geschenkt, damit er an sie denken sollte, wann immer er zu einem Wasserfall kommen würde.
Er hatte ihr einen Tautropfen geschenkt. Ob sie das noch wußte? Wie würde sie ihn finden, den Tautropfen, in dieser großen Stadt?

Er hielt Ausschau nach seinem weiteren Weg. Das prächtig geschmiedete Gittertor verwehrte ihm den Einlaß in den Margaretenhof. Wäre er Postbeamter, wie einst ihr Vater, so könnte er Briefe in jeden Briefkasten der unzähligen Häuser werfen. Vielleicht würde ein Brief sie erreichen und die Worte darin, die er ihr niemals gesagt hatte. Vielleicht würde er diese Worte schreiben, würde schreiben, wie gern er sie hatte.

Er bog nach rechts in die Margaretenstraße ein. Nun wurden seine Schritte langsamer.
Dies war ihr Schulweg. Gern wird sie ihn gegangen sein, wißbegierig und voller Freude. Das hatte sie ihm erzählt.

Laut hallten seine Schritte auf dem Pflaster des Bürgersteiges, verfingen sich in den Häuserzeilen. Sein Herz klopfte lauter: hier irgendwo mußte ihre Volksschule sein. Vor dem Haus Nr. 103 blieb er stehen. Er war bei bei ihrer Schule angekommen. In Stein gehauen las er es: Volkschule. Das schwere Eichenportal war geschlossen. Die eiserne Türklinke der kleineren Tür daneben drückte er mit zitternden Händen. Die Tür öffnete sich, gewährte ihm Einlass in ihre Kindheit. Über das Kopfsteinpflaster des Rundbogenganges betrat er den Innenhof. Er war auf dem Schulhof angelangt. Der Regen tropfte von den mächtigen Zweigen der alten Platanen auf die verwaisten Bänke. Auf dem nassen Pflaster des Schulhofes schimmerte das Grau des Himmels.

Er war bei ihr angekommen.

Er achtete nicht auf die Nässe, setzte sich auf die Bank, deren verwitterte Bohlen ihn einluden, zu verweilen. Er schaute zum geöffneten Eingang der Schule, der im Gebäude am Ende des Schulplatzes zum Eintreten einlud. Nein, er durchschritt ihn nicht, widerstand der Versuchung.
Unter dieser alten Platane war er ihr nah. Diese hatte sie gesehen, hatte ihr Lachen gehört, ihre Ausgelassenheit, ihren Zorn. Auch ihre Schüchternheit wird sie erkannt haben, ihre Traurigkeit, wenn andere Kinder kleine Figuren aus den Überraschungseiern tauschten, die sie niemals besaß. Ihre Kindheit war karg und das Geld war knapp gewesen. Aber sie hatte diese Schule verlassen und das Gymnasium in Margareten auch dann besucht, als sie längst schon in einem anderen Bezirk gewohnt und die Straßenbahn sie laut ratternd hierhin zurückgefahren hatte.
Die Blätter der Platane bewegten sich schwer in der Nässe, er verstand ihre Sprache nicht. Von ihnen erfuhr er nichts Neues. So hing er seinen Gedanken nach, bis die Kälte durch den festen Stoff der Jacke kroch und ihn schaudern ließ. So brach er auf, betrachte noch einmal die Mauern, die ihr Lachen bewahrt hatten, ihre Nähe und nun auch seine Sehnsucht aufnahmen, zwischen die Ritzen des verwitterten Putzes.

Als er die Straße betrat, erhaschte er den Blick einer alten Frau, die, auf einen Stock gestützt, mühsam aus der Haustür trat. Wie lange wohnte sie in diesem Haus? Wieviele Jahre? Vielleicht hatte sie sie gesehen, als sie täglich die Schule verließ. Vielleicht hatte sie ihr Bild in ihrem Herzen bewahrt.

Er fragte sie nicht.
Er ging langsam den Weg zurück zum Margaretenplatz.
Die niedrigen Biedermeierhäuser an seinem Weg erzählten ihm lange Geschichten, so dass er sie verweilend betrachtete.

Er war in sich gekehrt, ging auf ihren Wegen, die ihm nah und vertraut waren im Unbekannten, auf denen er die Spur berührte, die sie dort zurückgelassen hatte auf alle Zeit, zu der auch er zurückkehren konnte, wann immer er es mögen würde.

Nun wünschte er sich ihre Hand, die ihn sicher führen würde auf diesem Weg, der soviel Nähe in sich trug und schmerzliches Vermissen. Er ging an ihren Worten entlang, hangelte sich mit ihnen von Häuserzeile zu Häuserzeile, während der Regen unablässig vom Himmel tropfte.

Beim Silberwirt hielt er erschöpft inne, stärkte sich mit der Kost des Landes, trank für das Prickeln einen Schluck von der Vösslauer Quelle und fühlte sich allein.

Am anderen Tag verließ er Margareten, verließ Wien mit dem Flugzeug gen Norden, verließ die Wärme der Stadt, tauchte ein in die Kälte der kargen Heimat.

(c) Annette Gonserowski

Vorbei

Das kleine Cafe
am Rande der Welt
hat die Tür verschlossen
mit Spinnweben,
die blinden Fenster
knarren im Wind.

Keine zarte Verführung
mit Sahnehäubchen,
kein Traum
im Spiegelbild,
keine Antwort
im Kaffesatz,
kein Glück
zwischen Polstern und Kissen,
kein Blick
in die Seele,
kein Schwingen
im Gleichmaß.

Auf leeren Regalen
vergessen die Wünsche.

(c) Annette Gonserowski

Besuch des Freundes

Elmar war bei uns, unser Freund seit vielen Jahren.
Nun ist es nicht einmal vierundzwanzig Stunden her, seit er bei uns ankam.
Mehr als neun Stunden sind bereits vergangen, seit er von uns Abschied nahm.

Langersehnte, kurze, intensive Zeit des Glücks.

Ein Wiedersehen nach über zwei verstrichenen Jahren. Spüren einer Freundschaft, die vor sechzehn Jahren begann, die einer überwiegenden Trennung von mehr als dreizehn Jahren und einer Entfernung von acht Flugstunden standhält.

Bei seiner Ankunft wieder dieses intensive Gefühl der Nähe und das grenzenlose Erstaunen hierüber.

Eigenartig vorher dieses fiebrige Erwarten der Ankunft, dann die Freude, die nicht zu bändigen ist, bei der das Herz mehr Raum benötigt, die die Enge der Haut spürbar macht, die aus den Augen hervorbricht und den Mund strahlen läßt.
Freude - bei der die Worte sprudeln wollen und die letztendlich doch sprachlos macht.

Fassungslose Erleichterung, weil die Umarmung genauso herzlich ist wie früher, das altbekannte Funkeln in den Augenwinkeln blitzt und sein strahlendes Lächeln Worte überflüssig macht.

Und auch:
die Angst, die sich einschleicht, ob nicht überreizte Sinne die Wahrnehmung verwirren, Gefühle Clownsspiele treiben und dies Glück gar nicht existiert.

Zurückhaltender schon -
vorsichtiges Tasten.
Es werden Entfernung meßbar, verflossene Monate spürbar.

Sehnsucht nach Nähe.

Ein kaum merkbares Klimpern seiner Augen: wie vertraut es ist - wie lange schon vermißt. Es reißt kaum errichtete Mauern ein, bietet der Erleichterung Raum.
Natürlich sind Monate verflossen, die man nicht gemeinsam erlebte, natürlich ist die Entfernung nicht nur in Kilometern zu messen und natürlich gibt es nicht nur Ländergrenzen...
Das gegenseitige Verlangen, Verflossenes nachzuvollziehen, Vergangenes greifbar zu machen, bietet aufkommen wollendem Schmerz kein Platz.

Kurz nur die zur Verfügung stehenden Stunden -
unaufhaltsam die tickende Uhr.

Noch intensiver die Gedanken, mutiger die Worte im Wettlauf mit der verrinnenden Zeit.
Zum Zerbersten beteiligt alle Sinne, bereit die Kostbarkeiten aufzunehmen.

Und doch:
es bleiben Gedanken verborgen, Worte unausgesprochen, es bleibt der Wunsch festzuhalten.
Stärker die Sehnsucht nach Nähe.

Heute morgen fuhr er fort.
Die Tränen in seinen Augen- eigentlich hatte ich sie nicht erwartet und doch überraschten sie mich nicht.
Überrascht haben mich seine Worte: "Ich bin froh, daß Du lebst..."

Verbannt die Wäsche des Gästebettes in die Waschmaschine, anvertraut den Duft seines Rasierwassers dem geöffneten Fenster des Gästebades, verankert die unstillbare Sehnsucht in jede Kammer des Herzens.
Spürbar in jedem Raum seine Nähe.
Aufbewahrt im Innern die Gefühle, die wiederum ausreichen um zwei Jahre zu überbrücken.
Kostbar das Erinnern an jede Minute seines Hierseins.


(c) Annette Gonserowski

21. April 2006

Impressionen vom Kap San Antonio
















Die Nachtigall auf dem Kap San Antonio




Die Nachtigall,
gefangen im Hofe
des Leuchtturms
hoch auf den Klippen
der Puntra Negra,
über dem blauen Meer.

Geblendete Augen
sehen nicht
gleißende Sonne, nicht
Leuchten des Feuers,
das Strahlen wirft
übers unendliche Meer.

Lauscht kalkweißem Lachen
der Möwen,
dem stockenden Schritt
eines Fremden,
lauscht der Ferne,
dem lockenden Meer.

Da kriecht die Trauer
des Fremden
zu ihr durch das Gitter,
sie spürt seinen Herzschlag
hoch über dem schmeichelnden Meer.

Beginnt nun zu singen
ihr Lied für den Fremden,
von Leben und Freiheit.
Lachen der Möwen
ertrinkt in der Brandung,
in rollenden Steinen,
im tosenden Meer.

(c) Annette Gonserowski

20. April 2006

Ein Abend im Süden

Ein Abend im Süden, auf der Terrasse eines Hauses in Spanien.

Flaches Licht, haltsuchend im Palmwedel, fortgeweht zum Pinienzweig, auch heute ufgescheucht vom Girlitz, der es krächzend zum Bergmassiv treibt, an dessen karger Gebirgswand es eine kurze Zeit leuchtend verweilt, vergeblich wie jeden Tag, um hinter ihm zu verglühen.

Überall das Rauschen des Meeres ganz nah.
Dieses nie endende Brausen, das Bringen und Nehmen, das Kommen und Gehen, Ankunft und Abschied.

Palmwedel, dattelträchtig, schwarfzüngig und biegsam, durchzogen vom rastlosen Wind.
Wind, der auch mich umschmeichelt, er kam über das Meer, trägt Gischt und Geschichten von Wasser und Inseln.
Streicht über die Wangen, die Arme, den Körper. Läßt Salz zurück auf den Lippen, den Geruch dieses Meeres, die Ferne, das lockende Sehnen.

Schon tiefschwarz der Himmel, industriedunstlos und nachtklar, raumgebend dem Meer entsprungenen Mond, den leuchtenden Sternen, dem jagenden Orion.

Unter dem Strauch das Stakkato der Zirkaden. Auch sie schlaffrei und rastlos.
In der Ferne bellende Hunde. Beutegewohnt durchstöbert ein streunendes Rudel Müll an den Straßen.
Lautlose Tatzen der wildernden Katzen umschleichen das Haus.

Nun wieder Stille.
Nur Brausen des Meeres, das Schmeicheln des Windes, das Spiel der Gedanken.
Und ich Dir ganz nah.

(c) Annette Gonserowski

Manchmal

Manchmal
spür ich eine Leichtigkeit,
atme dann
Blüten an die Zweige,
hüpfe auf Sonnenstrahlen,
kitzle dem Schläfer
die Müdigkeit aus den Augen,
schwebe,
habe weiße Taubenflügel.

Manchmal
such ich Blumen unter dem Schnee
und Abendrot im Nebel,
such Zeichen eines Lebens.
Such und such,
oftmals vergebens.
Dann sind nicht nur die Füße schwer,
hab dann auch keine Flügel.

(c) Annette Gonserowski

19. April 2006

Erinnern

Gewidmet: den Ärzten, die meinen Mann behandelten, ganz besonders unserem Freund Hartmut

Die Berge lagen dunkel gegen den Horizont, über den der Himmel gen Westen purpurn im Abendrot leuchtete.
Gen Osten, im Widerschein, zogen einzelne Wolken. Sie teilten den Himmel, wie Zeilen eines Gedichtes über die Liebe.
Sie saß in ihrem Auto und fuhr über die Autobahn. Bei der nächsten Abfahrt mußte sie diese verlassen. Nur wenige Minuten später würde sie die Klinik erreichen. Was mochte sie erwarten?
Man hatte sie angerufen.
Man hatte gesagt, ihr Mann sei schwer verletzt.
Man hatte gesagt: er wäre im Krankenhaus, sie solle schnell kommen.
Mehr wollte man nicht sagen.
Sie fuhr zügig, aber gelassen. Die Worte waren nicht bis zum Herzen vorgedrungen.
Nur einmal durchzuckte sie der Gedanke: "Was wäre, wenn ...?"
Der Mut verließ sie nicht, als eine Ärztin zu ihr trat und sie aufklärte: " Er wird es nicht überleben" - sie glaubte ihr nicht.
Als der Freund, selbst Arzt und herbeigerufen, strammen Schrittes hinter der Tür verschwand, hinter der der Verletzte lag und wiederkehrte mit schleppenden Schritten, da verließ sie der Mut.
Sie ließ man nicht zu ihm.
Sie konnte nur fassungslos seine Beine erblicken, als man ihn auf der Trage in den Hubschrauber lud, der ihn in die Spezialklinik bringen würde.
Seine Beine, die sie so liebte, bloß und nackt lagen sie auf der Trage.
Diese sah sie, bevor man den Arm um sie legte und zur Seite führte.
Seine Beine - die sie fasziniert hatten, beim Kennenlernen. In maßgeschneiderter Hirschlederreithose und engen Reitstiefeln wirkten sie damals atemberaubend und endlos lang.
Diese Beine sah sie.
Ihn ließ man sie nicht sehen.
Sie sah ihn am nächsten Tag, als die Ärzte nach stundenlanger Operation sein Leben erhalten hatten. Nein, - er war noch nicht über den Berg. Das sagte der Arzt, den man ihr zur Seite gestellt hatte, bei dem ersten Besuch an seinem Bett und danach bei vielen weiteren Besuchen.
In diesem Bett lag er, angeschlossen an laut piepsende Monitore und Aufzeichnungsgeräte, die jegliche Regung seines geschundenen Körpers erbarmungslos deutlich machten.
Nackt und bloß, die Arme und Beine mit Schlingen fixiert, Schläuche am Kopf und an vielen Stellen des Körpers, die Augen rot und prall wie kleine Tomaten vor dem Kopf. Schädelhirnverletzung.
Der Arzt schaute sie an, mit intensivem Blick: "Das menschliche Gehirn ist regenerierungsfähig".
"Das menschliche Gehirn oder speziell das meines Mannes?" Sie schaute ihn fragend an.
"Das menschliche Gehirn generell..."
Und sie nahm ihn beim Wort.
Und sie wußte: dieser Arzt meinte das Gehirn ihres Mannes, kein anderes, seines würde regenerieren..
So überstand sie Tage und Nächte, in denen sie nicht schlafen konnte, die sie im Sessel sitzend verbrachte, weil die Gedanken zu schwer waren und zu umfangreich, um in ihrem Kopf Raum zu finden, oder ihn auf ein Kissen zu betten.
Als man den Verletzten nach zwei Wochen erwachen ließ, riß er an den Fesseln, kannte sie nicht, nicht Worte, um dies zu benennen.
"Dies ist das typische Aufwachsyndrom - nichts Unnormales.." Die Ärztin wandte sich wieder ihrer Arbeit am Nebenbett zu.
"Wie lange dauert es denn, dieses Aufwachsyndrom?" Zagfthaft schaute sie zur Ärztin.
"Das Gehirn eines jeden Menschen ist anders.Jede Verletzung ist anders. Was leicht erschien, ist nach dem Erwachen schwer, was irreparabel erschien, erweist sich später als hoffnungsvoll. Es kann zwei Wochen dauern oder nie vergehen. Niemand weiß das.."
Da versagten ihr die Füße und der Mut, so setzte man sie auf einen Stuhl, schob ihn an sein Bett. Sie legte ihr Gesicht nah seinem Körper, roch den vertrauten Duft seiner Haut, weinte still in die Kissen. Da kam die gefesselte Hand, kaum reichten die Finger zu ihrem Gesicht, berührte sanft ihre tränennasse Wange.
Da kam der Mut zurück und die Hoffnung in ihre Augen.
Wenige Wochen später setzte man ihn an das Fenster, damit er schauen konnte, wenn sie das Auto auf der Straße gegenüber in die Parklücke fuhr.
Sie sah das Fenster im dritten Stock. Meist war die Gardine zur Seite gezogen und sein Kopf, nun schon von den Verbänden befreit, schmal geworden und fast so klein wie ein Kinderkopf, war hinter der Scheibe zu erkennen.
Sie hatte ihn im Blick, wenn sie winkend die Außentreppe hinauflief, leicht bis zum ersten Stock, dort über die Plattform lief, hin zu der zweiten Treppe, winkend aus seinem Blickwinkel verschwand und auch ihn erst wieder sah, wenn sie die letzte Treppe hinaufging, nun schon langsamer geworden und oft verzagt.
Sie erkannte er, erinnerte sich ihres Names, erinnerte sich ihrer Vertrautheit - aber Anderes war ihm fern, lagerte in Nebelwänden. Sie sprach mit ihm, erzählte Geschichten vom Meer und der Brandung, bedeckte die trockenen Lippen mit Küssen , erzählte vom Geschäft und blühenden Gärten, von Oma und Vater und Hund und dem Flugzeug am Himmel, das er doppelt sah.
Er schaute sie stets mit fragenden Augen an, erkannte ein Wort. Und vergaß es.
Am nächsten Tag erkannte er zwei Wörter, behielt eins im Gedächtnis. Am weiteren Tag erkannte er noch eins und behielt es im Herzen. So gesellte sich Wort an Wort. Er hangelte sich an den Worten heraus aus dem Nebel, glitt wieder mit ihnen zurück, wenn sie den Halt verloren.
Am Arm des Pflegers durfte er die wenigen Meter bis zur Toilette gehen, niemals weiter und niemals allein. Er wußte genau, was hinter der Wand neben seinem Bett war.
Sie parkte den Wagen gegenüber des Fensters, nun schon erschöpfter. Ging langsamer die erste Treppe hinauf.
Da sah sie ihn.
Sah seinen Kopf, den sie so liebte, schemenhaft und zart hinter der Scheibe. Ihr Herz schmerzte, wenn sie ihn sah. Sie winkte ihm zu und sich Mut in ihr Herz. Ihre Füße wurden schneller: sie winkte mit beiden Armen, erreichte die erste Plattform. Wieder winkte sie, ging weiter, das Fenster entschwand ihren Blicken, er entschwand ihren Blicken und mit ihm der Mut. Ihr Herz schlug mühsamer, Sorgen über Sorgen und Müdigkeit lasteten schwer auf ihr.
Bei der nächsten Treppe kam das Fenster wieder in ihren Blick.
Sie erschrak: das Fenster war leer, die Silhouette seines Kopfes verschwunden!
Sie lief atemlos die Treppe hinauf, Stufe um Stufe schneller werdend, zur letzten Plattform. Die Stufen wollten nicht enden.
Sie stieß die Tür auf.
Der Gang im Innern des Hauses schien endlos. Sie rannte ihn entlang.
Atemlos riß sie die Zimmertür auf und da hörte sie es: der Motor seines Rasierapparates summte.
Ihr Herz schlug wild.
Sie machte die Badezimmertür auf: da sah sie im Spiegel seine Augen.
Sie strahlten sie an, aus tiefen Augenhöhlen im kahlen Schädel...
*Fühl mal... meine Wangen.. ganz glatt. Sie kratzen Dich nicht..."

(c) Annette Gonserowski

Impressionen aus Berlin Mitte





















Nach dem Streit

Nicht flüchtig
das Vertrauen,
nicht flüchtig die Zuneigung,
nicht die Zärtlichkeit
und das Verstehen.
Nicht flüchtig
wir
vor diesem.

(c) Annette Gonserowski

Freundin

Mausi,
geliebte Freundin,
Dich schickte der Himmel
mit einem roten Raumschiff
in meine kleine Welt.
Du brachtest mir Lachen
und den Zauber
verschlossener Welten,
umschlangst meine fliehende Jugend
mit bunten, fröhlichen Tüchern.
Als ich weinte,
am Fluss Deiner Kindheit,
um vergebliche Lieben,
als ich Ursprung
und Sinn nicht erkannte,
da führtest Du mich
zu Deinen heimlichen Wurzeln,
tröstend,
wurdest erdschwer
wie ich.

(c) Annette Gonserowski

18. April 2006

Ein Märchen





Freundschaft
-ein Märchen -
für einen Freund

Inmitten einer großen Wiese, nicht weit von einem Bachlauf entfernt, stand ein Baum, der seinen ausladenden Wipfel der Sonne entgegenreckte.

Im Sommer wuchsen um ihn herum die schönsten, bunten Blumen und der Bach murmelte ihm geheime Geschichten zu.
Herbststürme raubten ihm sein buntes Blattwerk, das er wehmütig mit ihnen treiben sah.
Im Winter bedeckte Schnee seine Wurzeln, zwischen denen Mäuse ihre Zuflucht suchten.
Dann wurde der Baum starr und seine blattlosen Zweige schauderten in der Kälte.
Im Frühling, wenn die Erde zu neuem Leben erwachte, die Wurzeln begierig aus den springenden Quellen tranken, erwachte er wieder zum Leben und seine Knospen sprangen auf in dem ersten wärmenden Sonnenstrahl.

Verliebte hatten Herzen in seine Rinde geschnitzt, ihm Wunden zugefügt, von denen eine Erhebung der Rinde zeugte. Manchmal kamen Menschenpaare, fühlten mit zärtlichen Fingern die Leidenschaft früher Jahre oder ein einzelner Mensch betrachtete traurig das Zeichen einer vergangenen Seligkeit.

Viele Vögel suchten in seinen Zweigen Zuflucht oder bauten ihre Nester in ihnen. Der Baum schätzte sie, die meist im Winter in wärmere Gefielde flogen, um im Frühling mit Düften und Geschichten ferner Länder zurückzukehren.

An einem Sonntagvormittag im frühen Jahr landete ein brauner Vogel auf einem der großen Zweige des Baumes, falte seine Schwingen zur Ruhe und beäugte mit seinen wachen Augen das Geäst. Es war ein fremder Vogel, einer, wie ihn der Baum noch niemals gesehen hätte. Interessiert bot er ihm Platz auf diesem Zweig, wiegte seine erstarrten Ästchen im erwachenden Lufthauch, raunte ihm einen Willkommensgruß zu.
Der Vogel flog wieder fort.

Kaum, dass seine Schwingen hinter dem Horizont entschwunden waren, flatterte die Eule, die Alleswissende, heran, um aufgeregt ihre Krallen auf einem der Äste zu verhaken. Sie warnte vor diesem fremden Gast, der zwischen seinen Schwingen die Mär des Geheimnisvollen trug. Der Baum hörte der Eule zu, wiegte seine Zweige abwägend im Wind...erfuhr von diesem Jäger, der zwischen den Himmeln jagte, hoch aus den Lüften hin zu der Erde...
Sein Bild hatte sich schon tief in die Rinde geprägt...

An einem Abend am Ende des Winters kam der Vogel wieder, suchte ein Plätzchen zur Nacht. Der Baum war traurig an diesem Abend, hatte Abschied genommen von einem Freund. Tröstend strich der Vogel mit seinen Schwingen über die Rinde der Zweige, schaute beruhigend mit seinen grünen, strahlenumkränzten Augen. Dem Baum gefiel diese Sanftheit des fremden Vogels und er lauschte atemlos seinen Erzählungen. Und die Ruhe kehrte ein, die Sterne leuchteten und der Mond zog seine einsame Bahn....

Der Vogel kam öfter, suchte die Ruhe des Baumes, ihm gefiel dieses gemeinsame Schwingen im sanften Wind, er fühlte den Gleichklang.
Der Baum bot ihm Raum, schenkte ihm Platz in seiner größten Astgabel, dort, wohin der Saft direkt aus den Wurzeln gelangte und das pulsierende Leben des Baumes war.
Der Vogel sammelte Zweiglein um Zweig und baute kunstvoll seinen Horst, nah an dem Pulsschlag des Freundes.
Sie hatten sich gern und der Baum wartete voller Freude auf die Ankunft des Freundes; wenn dieser atemlos vor Freude sich auf ihm niederließ.
Träumte der Baum in die Mittagssonne, so war das Bild dieses Jägers in seinen Augen, wie seine Silhouette sich gegen den Horizont hob.
Der Jägervogel vergaß seine Passion, streichelte sanft mit den Schwingen, trank von der Seligkeit des Baumes, ließ diesen in seinen Augen versinken.
Sie waren eins, ein Herz und eine Seele. Der Baum bebte von der kleinsten Wurzel bis hin in die äußerste Zweigspitzte und begann zu leben, mitten im Winter, ungeschützt gegen die klirrende Kälte. Auch der Vogel flirrte bis in die kleinste Feder...
Der Vogel - ein Falke, ein Jäger, auch in seinem Herzen. Nur für eine kurze Zeit weilend. Vorsichtig geworden nach den Kämpfen vergangener Jahre, ein Winkel seines Herzens verschlossen, zog ihn seine Passion. Immer öfter verließ er das Nest, blieb fern. Der Baum verstand dieses, unfähig den Platz zu wechseln, ließ er ihn treiben, ließ ihn frei sein.
Doch er vermißte ihn schmerzlich, rief vergeblich sein Bild in die Augen, trauerte im sinkenden Abendlicht.
Der Nachtwind trug ihm Geschichten zu, die der Falke ihm mitgegeben hatte, fuhr tröstend über die frierenden Zweige...Aber die Geschichten des Windes hatten nicht die Wärme der Schwingen, wenn diese sich zärtlich auf die erstarrten Knospen legten....

Der Horst in der Astgabel war leer. Verschiedene Vögel landeten auf den Rand dieses Horstes, beäugten die verlockende Ruhestätte. Der Baum gestattete ihnen kein Bleiben.
Der Falke blieb fern, sein Horst blieb verweist, niemand pflegte diese Stätte, niemand befestigte gelockertes Nestwerk, es bröckelte im aufkommenden Sturm. Traurig senkte der Baum seine Zweige hin zu der Erde, vermißte den Freund, den geliebten, die Stunden mit ihm, seine Zartheit, das gemeinsame Schwingen..
Ein letzter Wintersturm entriss den Horst der Astgabel, wehte ihn zur Erde, nah zu den Wurzeln des Baumes.
Der Baum trauerte still in das Abendrot.
Die Zugvögel kehrten zurück, suchten Begehr bei diesem Baum, dem Freund vieler Jahre. Nur langsam erwachte der Baum aus seiner Trauer, ließ Freunde zu. Immer mehr Freunde suchten seine Gesellschaft, weilten bei ihm. Und doch vermißte der Baum seinen Liebsten, diesen Falken.
Eines Abends durchtrennte das Rauschen von Schwingen die Strahlen der untergehenden Sonne und das geliebte Bild hob sich ab gegen den Horizont. Der Falke war wieder da. Beglückt rauschte der Baum im Lufthauch, als der Freund sich auf der nun leeren Astgabel niederließ.
Bestürzt betrachtete der Falke den leeren Platz, dort wo einst sein Horst war, so nah an dem Herzen des Baumes, sah auf das zerstörte Nest nahe den Wurzeln.
Er wollte Freund sein! So trug er Zweiglein um Zweiglein hin zu dem leeren Platz, befestigte nun sorgsam den Horst. Der Baum, nun voller springender Knospen, bildete neue Ästchen, legte sie schützend um diesen Horst.
Sie bauten ein Nest, alle beide, ein Nest - geöffnet zur Freiheit..

(c) Annette Gonserowski

Worte


Das Jalón-Tal von Col de Rates aus gesehen


Meine Worte von Freiheit -
leere Worthülsen,
meine Worte von Leichtigkeit,
angekettet an meine Erdschwere,
meine Worte vom Schweben,
sie sind mir entkommen,
meine Worte von Fröhlichkeit,
erdrückt von meiner Trauer.

Meine Worte -
so wahr,
wie die Wahrheit,
so unwahr,
wie die größte Lüge,
einzig,
die Worte von Liebe.

(c) Annette Gonserowski

Tulpen




Wintertrotzkopf,
Tulipa,
Frost umklammert ihre Zwiebel,
letzter Winterwind
biegt ihren Stengel,
durch kunterbunte Blütenblätter
strahlt im neuen Licht
ein Lächeln.

(c) Annette Gonserowski

17. April 2006

Wer


Der Olvienbaum, vom Wind gedreht, auf dem Cabo San Antonio bei Denia


Bist Du der Wind,
der vom Meer kommt,
der vom Land kommt,
von weiß nicht woher?
Der mich liebkost im Vorüberwehen,
der weiterzieht
und mich vergisst?

Bist Du viel ferner?
Bist Du die Sonne,
die mich wärmt an fröhlichen Tagen,
die mich umhüllt,
für die ich mich entblöße,
der ich mein Sehnen darbiete,
die sich verbirgt, wenn dunkle Wolken ziehen?

Oder bist Du viel näher?
Der Palmwedel vielleicht,
der meine Gedanken wiegt,
der mir Kühle fächelt,
der mich schützt vor meiner Glut,
der aber scharfzüngig ist,
so unerreichbar hoch über mir?

Oder bist Du in mir?
Bist Du das Sehnen,
bist Du der Gedanke,
bist Du das Fühlen,
bist Du das Vermissen,
bist Du die Glut
so tief in mir?

(c) Annette Gonserowski

16. April 2006

Heute

Heute
ist wieder so ein Tag,
an dem die Sonne
Wolken beiseite schiebt,
wo Nebelwände in die Wälder flüchten,
an dem die Erde duftet
und die Vögel singen.
Heute
ist wieder so ein Tag,
an dem man
leben möchte.

(c) Annette Gonserowski

Anja

meinem Patenkind

Du kamst zu mir
wie ein Blütenzweig
im tiefsten Winter:
so unverhofft,
so zart,
so wunderschön.

Ich liebe Dich,
wie ein alter Baum
die jungen Triebe liebt
mit ihren prallen Knospen,
frischem Grün
und neuem Licht.

Ich möchte Dich
auf Deinem Lebensweg begleiten:
bei Frühlingssonne,
Sommerwinden,
gerne noch
im Herbst ein Stück.

(c) Annette Gonserowski

15. April 2006

Jonatan

Ein Vogel sein,
frei sein.
Als Möwe
träumend
auf den Wellen wiegen.
Hoch
die gefährliche Brandung
überfliegen.
Mühelos
Grenzen überwinden.
Glücklich
zwitschernd
die weißen Flügel
über das Nest breiten.

(c) Annette Gonserowski

14. April 2006

Glücklich sein

Mit Dir
in den Abend fahren.
Die untergehende Sonne,
den Tag
und die Zweifel
hinter sich lassen.

Mit Dir
den Frühling erleben.
Die Knospen,
das Vertrauen
und die Freundschaft
aus der Erstarrung lösen.

Mit Dir
den Augenblick genießen.
Die Freude,
die Nähe
und die Fröhlichkeit
zulassen und glücklich sein.

(c) Annette Gonserowski

13. April 2006

Und doch

Hinter Mauern verbannt,
den Wurzeln entrissen,
die Atemblätter
austrocknendem Wind preisgegeben:
zartes Pflänzchen Vertrauen.

Und doch:
es bildet Luftwurzeln,
rankt die Mauer hinauf,
dringt in Spalten,
lockert Erstarrtes,
tastet im luftleeren Raum,
befreit Gefangenes,
reckt seine Triebe zum Licht,
kämpft ums Überleben.

(c) Annette Gonserowski

Das Lied

Das Lied im Ohr
ging ich am menschenleeren Strand,
ging zwischen Muscheln,
nah den wilden Schwänen.

Tausche das Lied,
wir singen Dir von dunklen Tiefen,
singen Dir Lieder fremder Meere.
Wer Muschel Du, werd Schwan.

Wollt bleiben nicht..

Das Lied im Ohr
ging ich zum wilden Korn,
ging zwischen Mohn
und blauen Blumen.

Wollt bleiben dort,

beim Mohn.
Wind sang das Lied in goldnen Ähren...
Wollt mit dem Mohn
rotglühend in der Leidenschaft vergehn.

(c) Annette Gonserowski
Usedom

Heute

Heute ist ein Tag
um Gedichte zu schreiben
oder traurige Lieder zu singen,
um Dir nahe zu sein.

Heute suche ich die Krähen,
weil ihre Augen die Farben Deiner Augen haben,
ihr Ruf rauh wie Deine gerührte Stimme klingt,
ihr Flug Deinen Weg kreuzte.

Heute lausche ich
dem Sturm, der über dem Haus fegt,
fange in meinen Händen Regentropfen,
sammle Deine Worte aus ihnen,

sie waren Dir nah.

(c) Annette Gonserowski
1994

So einfach

Ach, wenn es doch nur
so einfach
wäre,
mich zu akzeptieren
oder Dich.

Die Grenzen
zu akzeptieren
und die Zwischenräume,
dass zwischen schwarz und weiß
grau ist,
dass es Zwischentöne gibt,
dass die Entfernung
die Nähe beinhaltet.

Ach, wenn es doch nur
so einfach wäre,
mich zu verstehen
oder Dich.

In den Grenzen
Dich finden
oder mich,
zu wissen,
dass Du in den Zwischenräumen bist,
oder ich,
dass unsere Töne füreinander
anders sind
und eine Entfernung
die Nähe nicht ausschließt.

Ach, wenn es doch nur
so einfach wäre,
zu glauben,
dass alles ganz anders ist.

(c) Annette Gonserowski

12. April 2006

Am Morgen



Der Klatschmohn
am Abhang
wiegt sich
im Morgenlicht
nach dieser Nacht.
So leuchtend,
so rot,
so sinnlich,
durchscheinend
im Licht,
gefährdet
im aufkommenden Sturm,
der Klatschmohn
am Abhang.

(c) Annette Gonserowski

Ein Nest gebaut

Dem Igel zugeschaut,
die Gefühle verborgen,
hinter einer stachligen Hülle,
hinter gesenkten Augen,
hinter Schweigen.

Dem Drosselpaar zugeschaut,
ein Nest gebaut,
in Deiner Hand,
in Deinen Augen,
in Deinem Herzen.

Zu den Sternen geschaut
und Träume geträumt,
in unendlicher Weite,
in unendlicher Klarheit,
mit Dir.

(c) Annette Gonserowski

11. April 2006

Pegasus


Stop bei der Reitjagd hinter der Meute
Atemhauch der Freiheit,
das Schweben,
bevor die Füße aufsetzen
auf sandigem Grund,
bevor sie sinken,
versinken und wieder abfußen,
bevor von den Rändern
rieselt der Sand,
bevor er lautlos
füllt die Spur,
bevor er sie verweht..

(c) Annette Gonserowski

Wenig nur

Diese wenigen Minuten
mit Dir,
mittags,
in Eile

zusammen auf einer Bank,
mit Stöbern in Schriften,
flüchtiger Berührung,
leuchtenden Augen,
strahlendem Lachen
und Nähe,

sind Glück.

(c) Annette Gonserowski

10. April 2006

Das Herz macht Bocksprünge

Ich sollte
das Notenheft vor den Augen
und den richtigen Ton im Ohr haben,
unter den Fingern die harte Saite spüren,
es sollte mein Herz
im Takt der Melodie schwingen.

Doch ich
seh vor mir Deine Augen,
höre Deine Stimme,
spüre die Berührung Deiner Hand
und mein Herz macht Bocksprünge.

(c) Annette Gonserowski

9. April 2006

An den Freund

Manchmal möchte ich
voll Fröhlichkeit
die Sonne umarmen,
die Wolken umarmen
oder Dich.

Möchte Worte
in den Wind rufen,
die niemand erreichen,
die an Dich gerichtet sind,
die Du verstehst.

Manchmal möchte ich
den Regentropfen lauschen,
den nassen Blättern
oder meiner Traurigkeit,
ob sie von Dir erzählen.

(c) Annette Gonserowski

Mutter

Der Abschied
aus Deiner warmen Höhle,
Mutter -
ich erinnere mich nicht mehr.
Erinnere mich nicht
an die Abschiede danach:
den Weg in den Kindergarten
ohne Dich,
den ersten Schultag
an der Hand des Zwillings,
das Verlassen des Hauses
zur Hochzeit.

Bei Deiner Krankheit,
die das Finale einläutete,
in der letzten Zeit mit Dir,
- bittersüß im Bewußtsein des Scheidens,
in der ich Dich halten wollte -,
nahm ich nicht Abschied,
nicht bei Deinem Tod.

Heut schaue ich zurück,
und nehm Abschied.

(c) Annette Gonserowski

8. April 2006

Wasserfall

Du schenktest mir einen Wasserfall.
Bei ihm halte ich inne,
lausche den springenden Worten,
sehe in silbernen Kaskaden
Dein Bild,
das zerrinnt mit den Wellen,
das zersprüht mit der Gischt
in glitzernden Farben der Sonne.

(c) Annette Gonserowski

Geliebte II

Schneeweiße Rose,
Gebliebte, Du.

Meine Sehnsucht
im Tautropfen
auf Deinem Blatt,
in dem der Morgen erwacht.

Meine Liebe
verströmend
im Duft
Deiner geöffneten Blüte.

Meine Hoffnung
in Deinem welkenden Blatt
am Boden,
und wieder

die Sehnsucht
im Tautropfen
auf Deinem Blatt
bei beginnender Nacht.

(c) Annette Gonserowski

Geliebte





Schneeweiße Rose,
Geliebte, Du.
Blütenblatt um Blütenblatt
entblättert
bei meiner Frage
nach Liebe.
Blütenblatt um Blütenblatt
welkend
am Boden,
meine Hoffnung.

(c) Annette Gonserowski

7. April 2006

Irgendwo

Ich möchte
die Trauer abstreifen
wie einen alten Mantel,
sie einfach vergessen.

Ich möchte
die Unbekümmertheit
hervorholen,
auch das Lachen
von einst.

Irgendwo
zwischen heute und morgen
möchte ich mich
wiederfinden.

(c) Annette Gonserowski

6. April 2006

Früher Morgen

Spür:
meine Finger
sind kalt
an diesem frühen Morgen.

Mit den Schneeglöckchen
beug ich mein Haupt
in der Kälte
der frühen Sonne.

Sie wärmt nicht,
wie nichts wärmt
an diesem Tag
ohne Dich.

(c) Annette Gonserowski

Alles wie immer




















Das Gleiche wie immer :
die Amsel verstummt
in den Glockenschlag,
mit dem Verklingen der Glocken
erwacht der Tag.

Alles wie immer:
der Schrank,
der Tisch,
das Bild an der Wand.

Ich erwache
in das Schweigen -
ich denk in die Stille,
die so anders ist,

weil meine Gedanken
so anders sind,
die ihr Leben geben,
seit Du fort bist....

(c) Annette Gonserowski

Unerträglich

Unerträglich
zu erwachen
aus diesem Traum,
nachtschwer,
warm,
weich,
zerfließend
vor Glück.

Unerträglich
zu erwachen.
Die Leere
nicht zu füllen
mit Liebe.

Unerträglich
ohne
diesen Traum.

(c) Annette Gonserowski

5. April 2006

Eiszeit

Im grellen Licht
bat ich meinen Schatten,
mich zu bedecken,
zu umhüllen,
unsichtbar zu machen.

Als seine schwarzen Arme
mich umschlangen,
weinte ich um die Sonne,
deren Wärme ich verlor.

(c) Annette Gonserowski

Sehnsucht

Manchmal
möchte ich bei dir sein,
ganz nah bei dir sein,
möchte durch Bits und Bytes hindurch
zu dir gelangen,
möchte vergessen,
dass es den Aus-Schalter gibt
und das Fremde,
und die Ferne,
und die Sonne,
und den Mond,
und die Sterne
und dieses andere Leben.

(c) Annette Gonserowski

4. April 2006

Gefährdet

Nicht zerstören
dieses zarte Band,
durch Worte,
durch Stimmen,
durch Nähe
oder Ferne.

Nicht zerstören
dieses zarte Band,
zart wie ein Seidenfaden,
kaum spürbar,
kaum sichtbar,
das uns hält.

(c) Annette Gonserowski

3. April 2006

Seelenverwandte



Ich träumte
von diesem Menschen,
der mir vertraut ist,
der mir so nah ist,
der fühlt,
wie ich,
dessen Gedanken
den meinen ähneln,
der die gleiche Richtung sucht.

Ich sah ihn im Traum,
er war mir so nah.

Nun wusste ich:
es gibt ihn.
Verbarg sein Bild
in der Kammer des Herzens.

Mal wartete ich lautlos
in den Nischen der Stille,
mal suchte ich ihn
in der lärmenden Menge.
Mal war ich gelassen,
mal war ich unruhig,
war fröhlich und traurig.

Ich erkannte ihn
am Klopfen des Herzens,
am Schwingen der Seele,
am Strömen des Atems,
sah es an den Gedanken,
sah es an meinen Augen,
fühlte es am Pulsieren des Blutes,
fühlte es mit allen Sinnen,

er war es,
dessen Bild
in meinem Herzen
verborgen war.

(c) Annette Gonserowski

2. April 2006

Noch einmal Wien

Beim Silberwirt

Beim Silberwirt

Für Deinen Blick
ein Sonnenstrahl
zwischen dunklen Wolken,
für Deine Zärtlichkeit
der Wind,
der vom Süden weht,
für Deine Worte
das Raunen der Wellen,
das von der Donau kommt,
für das Prickeln
ein Schluck
aus der Vösslauer Quelle,
doch was
für das Sehnen?

(c) Annette Gonserowski

Freundin



für Claudia

Ein jeder
hat sein Schneckenhaus
mit Mauern
aus geplatzten Träumen,
verkriecht sich darin
ins Dunkel,
trägt schwer daran
am lichten Tag.

Du nahmst mir meins
leicht von den Schultern,
zogst mich hinein ins neue Licht,
fülltest mein Haus
mit bunten Farben
und Wärme
Deiner Freundschaft.

(c) Annette Gonserowski

Schritte

Einen Schritt entfernt
erkannt ich Dich.
Ein kleiner Schritt nur
war mein Weg zu Dir.
Ein Schritt mit Dir
war unsere Ewigkeit,
einen Schritt entfernt von Dir
ist meine Einsamkeit.

(c) Annette Gonserowski

Anvertraut

Hab meinen Traum
der Welle anvertraut.
Sie trug ihn fort,
spülte ihn zurück
und trug in fort
mit unbestimmten Ziel.
Gischt nun auf meiner Haut,
auf meinen Lippen Salz,
Wind streichelt mein Gesicht.
Spür ich vom Traum ein Stück?

Was ist, wenn ohne Wiederkehr
der Traum entzogen wurd?
Wenn Stund
und Tag
und Jahr
zerrinnt,
am End ich nicht einmal
einen Hauch des Traums
in dem Verflossenen find?

Trägt dann die Welle
meine Trauer fort,
spült sie zurück
und trägt sie fort
mit unbestimmten Ziel?
Gischt dann auf meiner Haut,
auf meinen Lippen Salz,
Wind streichelt mein Gesicht?

Oder spült die Welle
meine Trauer nur an Land,
läßt sie bei mir zurück?

(c) Annette Gonserowski

1. April 2006

Titelgedicht

Schuldfrage

Palmengrün,
Himmels Blau
und der weiße Duft
des Jasmins.

Welche Farbe
trägt die Schuld
nach dieser Nacht?

Das Öffnen der Lider,
das Öffnen der Lippen,
das Öffnen der zaghaften Scham.

Wer fragte vorher nach Schuldigsein?

Wer spricht von Schuld
nach dieser Nacht,
bei dem unschuldigen Duft
des Jasmins
an Deinen
und meinen Fingern?

(c) Annette Gonserowski

Träume

Träume,
so zart,
so fein,
so klar,
so transparent
und farbenfroh
wie Seifenblasen,
so gefährdet.

(c) Annette Gonserowski

Sehnsucht





Im Morgenlicht
die erste Magnolienblüte,
in mein Erwachen hinein
das Lied der Amsel.
Erstarrt noch
in der Kälte der Nacht
meine Sehnsucht -
wortlos.







(c) Annette Gonserowski

Straßengedicht











An der Abzweigung,
auf der Fahrt
von Nord nach Süd,
vom Heute ins Morgen,
von Dir nach irgendwo,
stand schmal
die Sichel des Mondes
in nachtblauer Luft.
In meine Trauer hinein
sprach er von Dir.
Durch das geöffnete
Fenster des Autos
strömte tröstend
der flüchtige Duft
des Ginsters.

(c) Annette Gonserowski