Hin und wieder werde ich ab jetzt etwas zu der Entstehung eines Gedichtes schreiben.
Zunächst ein kleiner Überblick:
ich schreibe seit meiner Kindheit. Schon als ich 10 Jahre alt war, wurde ein Gedicht von mir in einer Zeitung veröffentlicht. Schreiben lyrischer Texte begleitet seitdem mein Leben. Es ist ein wichtiger Teil meines Lebens, ist mein Leben.
Wenn ich nicht schreiben kann, das Gedicht in mir reift, noch nicht in die richtige Form gebracht ist, bin ich unruhig. Ebenso, wenn ich einige Zeit keine Worte finde.
Ich schreibe in erster Linie Emotionen. Und oftmals Traurigkeit und Sehnsucht. Das bedeutet aber nicht, dass die Traurigkeit mein Leben bestimmt. Im Gegenteil. Aber ich kann Freude, Glücklichsein, sofort äußern und leben. Während ich Sehnsucht und Trauer nicht nach außen trage, sondern sie loslasse, indem ich sie in ein Gedicht packe.
Zu den *gelebten* Stunden empfinde ich - neben den Stunden mit meinen Lieben und Freunden- besonders die, die ich mit Schriftstellern und bildenden Künstlern verbringe. Dass einige davon Freunde wurden, bedeutet Glück. Wir treffen uns auf einer Ebene, bereichern uns gegenseitig, schweben miteinander. Man sagt, Künstler sind Zwischenwesen zwischen Himmel und Erde. Ein großes Wort. Richtig ist aber, dass wir Vieles sehr stark empfinden. Freude wie auch Trauer. Diese in das Wort und die Kunst einfließen zu lassen, ist notwendiges Ventil und macht sie wahrhaftig. Das spürt der Leser und Betrachter.
Meine Worte sind wahr, das versichere ich. Kein Gedicht wurde konstruiert, sondern entstand aus einem *gelebten* Moment. Wobei ich als *gelebt* den Moment bezeichne, in dem ich emotional angesprochen werde, etwas empfinde. Das kann durch einen Menschen, ein Tier, eine Wolke, Blume, ein Wort sein.
Ich hatte die unbändige Freude an einer Lyrikertagung in Isekele auf Nord-Zypern teilnehmen zu können. Es waren Lyriker aus Ländern anwesend, die ich nie bereiste, deren Sprache ich nicht sprach. Sie kamen aus Russland, aus den östlichen Ländern des Mittelmeeres, aus Nordzypern und auch aus dem griechischen Teil der Insel. Wir verständigten uns in Englisch und ohne Worte, einfach durch Gesten, Blicke, Berührungen. Es waren Tage voller Magie. Eine Dichterin aus Tirania, die ihre Kindheit in einem Gulag verbracht hatte, berührte mich stark. Es gab ein zweisprachiges Buch von ihr, das sie mir schenkte. Am Ende der Tagung, zu der Besuch beim Präsidenten des Landes und ein großes Lyrikfestival mit Fernsehaufzeichnung gehörten (bei dem ich las) flogen wir gemeinsam nach Istanbul. Dort, an dem Drehkreuz des Himmels trennten sich unsere Wege. Sie nahm mich in den Arm und sagte zur mir das, was ich ebenso empfunden habe: "Bye, Sister."
für Shukran Muda
Sieh, Shukran,
dieses letzte Gedicht
widme ich Dir,
die Du mich anschautest,
skeptisch aus dunklen Augen.
Dies Gedicht schenke ich Dir,
weil Du mich berührtest,
sanft an der Schulter,
weil mich Deine Worte berührten,
sie mich entsetzt machten
und voller Grauen.
Ich schenke es Dir
voller Zuneigung,
Schwester,
weil Du beim Abschied
das aussprachst,
was ich verschwieg:
Bye, Sister!
(c) Annette Gonserowski