Gratulationsstrauß
Laudatio
von Ulrich Köhler
- Ausschnitte -
Zur Ehre meiner Zwillingsschwester Annette Gonserowski
Meine sehr geehrte Damen und Herren. Verehrte Preisträger. Verehrter Herr Müller-Felsenburg.
Ich begrüsse Sie herzlich und ich möchte mich dafür bedanken, dass ich eine kleine Rede zum Lobe meiner Zwillingsschwester und Preisträgerin, Frau Annette Gonserowski, halten darf.
Wo ich vielleicht 100 Worte brauche um meine Gedanken zu offenbaren, reicht für Annette Gonserowski wahrscheinlich nur ein kleines Gedicht.
Bevor ich etwas zur Biografie sage, möchte ich Ihnen ein Gedicht von Frau Gonserowski vortragen, das sie anlässlich ihrer 1. öffentlichen Lesung im September 1981 in Meinerzhagen gelesen hat. :
Wenn Du zur untergehenden Sonne gehst,
wirst Du mich finden.
Ich werde auf Sonnenstrahlen
zum Abendrot tanzen,
schon werden aufgehende Sterne
in meinen Augen funkeln,
die Nacht wird behutsam
ihr stilles Tuch um mich legen.
Dort
werde ich auf Dich warten,
wenn Du im Schleier der Träume
mich erreichst.
Mit meiner Kurz-Biografie möchte ich versuchen zu erklären, aus welcher Tiefe und Erfahrungen ihres Lebens die Autorin die Fähigkeit hat, Lyrik und Prosa in ihrer beispiellosen persönlichen Art zu schreiben.
Annette Gonserowski wurde im sauerländischen Kierspe als 3. Kind und einzige Tochter der Eheleute Ruth und Fritz Köhler geboren. Sie wurde geboren in einem Jahr, in dem die Erinnerung an das Leid des Krieges im Volke noch frisch und die Tränen über den Tod der Väter, Söhne und Brüder noch nicht getrocknet waren. In einem Jahr, das sich gerade anschickte eine Demokratie zu wagen, in dem die Menschen voller Zuversicht anfingen eine neue friedliche Zukunft zu planen und aufzubauen.
In der Zeit ihrer Kindheit wohnten im Elternhaus neben den Eltern und Geschwistern, die noch lebenden Grosseltern.
Nicht nur die Eltern, besonders die Mutter , sondern auch beide Grosseltern erzogen das Mädchen zu einer aufgeschlossenen fröhlichen jungen Dame. Nie war sie einsam. Immer fand sich jemand in der Familie bereit, ihre Fragen zu beantworten und, wenn es nötig war, ihre Tränen fort zu wischen. Durch die Gespräche der Erwachsenen wurde Annette Gonserowski auf eine nationale und familiäre Vergangenheit aufmerksam gemacht, in der Kriege und finanzielle Katastrophen das Leben der Menschen in ihrem Dasein mental und materiell bedrohten. Nie wieder Unterdrückung, nie wieder Krieg war die Meinung der Eltern und Grosseltern. Aber auch von erlebter Hilfsbereitschaft und von Solidarität gegen den vorher so menschenfeindlichen Staat wurde geredet. Die Lebenserfahrung der Eltern und Grosseltern wurde weitergegeben. Annette Gonserowski lernte Recht und Ungerechtigkeit zu erkennen und dieses auch zu hinterfragen.
Annette Gonseowskis grosses Verständnis für erlittenes Leid anderer Menschen und die damit verbundene Hilfsbereitschaft, ihre grosse Liebe zur Literatur, ihre Liebe zu den Tieren und zur Natur wurde bei ihr im sehr liberalem Elternhaus geweckt und gefördert. Aus dieser Zeit ihrer Kindheit ist vermutlich ihr 1. Gedicht erhalten, das sie als etwa 10 Jährige an die lokale Zeitung schickte.
Nicht zu vergessen ist, dass dem Lehrerkollegium ihrer Schule Lehrerinnen und Lehrer angehörten, die sowohl noch in der Kaiserzeit als auch nach der Nazi-Herrschaft ihr Studium beendet hatten. Bewährte Tugenden, das Wir-Gefühl und die Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden, wurden ihr ebenso beigebracht, wie auch Kritikfähigkeit und Pragmatismus. Besonders Frau Rahner, eine damals als sehr modern geltende junge Lehrerin, erkannte das dichterische Talent von Annette Gonserowski und stand ihr mit Rat und Anregungen fördernd zur Seite.
Die Mentalität der Eltern, und wie diese das Leben einer kinderreichen Grossfamilie meisterten, ( es lebten zeitweise 7 Personen im Elternhaus ) war vorbildlich für das weitere Leben von Annette Gonserowski.
Zu der Besonnenheit, der Ausgeglichenheit, der Klugheit und der grossern Fürsorge des schon für die Zwillinge etwas älteren Vaters, kam die Spontaneität und die allem Neuen Aufgeschlossenheit der gutherzigen, hilfsbereiten jüngeren Mutter.
Nie hat es in der Familie Fremdenfeindlichkeit oder Hass gegeben. Ganz im Gegenteil. <>Man kannte Hilflosigkeit und wusste zu helfen. Lief mal was schief, gab es keine Suche nach dem Schuldigen oder gar eine Schuldzuweisung .Vielmehr wurde versucht den Grund zu erfahren, um auch dafür noch Verständnis zu finden.
Das Leben in der Familie war auch ohne Fernseher nicht langweilig. Ausser durch das Radio und der Tageszeitung wurde der Wissensdurst der heranwachsenden Annette Gonserowski durch ständiges Lesen guter Bücher gestillt. Dabei kam der Kontakt zu anderen Mädchen nicht zu kurz. Freundschaften aus der Zeit der späten Kindheit sind nie abgebrochen worden.
Nach der schulischen Ausbildung erlernte Frau Gonserowski den Beruf der Industriekauffrau.
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Das in ihrem Beruf Erlernte war für Annette Gonserowski später nützlich, um einen eigenen kleinen Verlag zu gründen und zu führen und Künstlerkolleginnen und -kollegen organisatorisch unterstützen und fördern zu können.
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Der grösste Teil ihrer Dichtung ist Liebeslyrik.
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Im mediterranen Süden schöpft Annette G. neue Energie und Inspirationen. Dort bekommt sie Distanz zum Alltag. Ihre Gedanken werden frei. Ihre Gedanken bekommen Flügel. Viele ihrer feinfühligen Gedichte sind dort unter spanischer Sonne entstanden. Gedichte voller Zärtlichkeit und Poesie. Aber auch Gedichte, in denen sie das Verhältnis vieler Spanier zu Natur und Umfeld anprangert. Gedichte voller Leidenschaft und Engagement.
Und damit bin ich bei dem Thema, weswegen Annette Gonserowski den heutigen Preis verliehen bekommen soll. Annette Gonserowski ist keine politische Dichterin. Das heisst nicht, dass sie vor der Realität ihre Augen verschliesst.
Aus dem Herzen heraus, aus der Bestürzung und des Mitleidens heraus, entstehen Gedichte mit beklemmenden Inhalt. Als Beispiel seien angeführt die Gedichte Tschernobyl und über den 11. September, die noch am Tage der Katastrophen entstanden sind.
Inhalt dieser Gedichte ist stets das Leid der Opfer. Hierin spiegelt sich die Humanität der Dichterin.
In die Gedankenwelt der Fanatiker kann sie sich nicht hinein versetzen. Sie hat durch Ihre Eltern und Grosseltern gelernt Gewalt zu verabscheuen. Umso mehr versetzt sie sich in die Gedanken der Geschundenen und Wehrlosen. Für diese Menschen ist Annette Zeitzeugin und Fürsprecherin zugleich. Sie macht die Opfer unvergessen.
Ich sehe darin eine Aufforderung an andere Schriftsteller, es ihr gleich zu tun. Probleme gibt es in der heutigen Zeit mehr als genug, die es anzuprangern gilt. Mit ihrer Prosa über das Leben einer unglücklichen Türkin in Deutschland, hat Annette Gonserowski ebenfalls einen unter die Haut gehenden Beitrag zum Verständnis, und damit zur Integrität unserer nicht deutschstämmigen Mitmenschen geliefert.
Rupert Neudeck, der Mitgründer von Cap Anamur, wurde gefragt, warum er nicht den bequemen Beruf eines Arztes oder Fachjournalisten in Deutschland ergriffen habe. Daraufhin entgegnete er, dass er durch das Buch "Die Pest" von Camus spontan dazu verleitet worden sei, Menschen praktisch zu helfen.
Durch ihr Buch "Liebe Mutter" hat Annette Leser dazu gebracht, ebenfalls spontan sich nahe stehenden Menschen wieder helfend zuzuwenden, die sie vorher im hohen Masse vernachlässigt hatten.
Annette Gonserowski ist eine anerkannte Schriftstellerin. Eine Meisterin der Sprache. Sie ist Kulturschaffende und Trägerin eines unserer höchsten nationalen Güter, der deutschen Sprache.
Zahlreiche Rezessionen aus dem In-und Ausland belegen dieses. Mittlerweile werden ihre Werke als Beispiele zeitgenössischer moderner Lyrik weltweit z. B. in Germanistikseminaren und Lehrbüchern zitiert und als Arbeitsvorlage benutzt.
Ich möchte meine Rede mit einem Zitat aus einer Rezession und mit einem der letzten neuen Gedichte von Annette Gonserowski beenden.
Ich zitiere Fritz Beuer in der literarischen Zeitschrift "Schreiben und Lesen", Berlin 3/83 Seite1:
Annette Gonserowskis lyrische Gedichte sind von einer Art, die den sofortigen Kontakt mit den Leser gewinnt. Das liegt nicht nur in der absoluten Ehrlichkeit der Aussage begründet, sondern auch in dem dieser Aussage vollkommen angemessenem Klangbild.
<...> man darf sich voll der Bewunderung hingeben, die man hegen muss, wenn man sieht, wie die junge Frau im Gedicht weit entfernt von sauertöpfischer Katastrophen-Mentalität und generationstypischer Selbstbemitleidung rückhaltlos ihr Herz sprechen, den Gesang ihrer Seele strömen lässt. Dort, wo die Dichterin sich diesem Strom bedenkenlos anvertraut, erreicht sie eine poetische Kraft, von der die leider noch zahlreiche Zunft der Prosazerzäger nur träumen kann.
Diese Dichterin ist den grossen Lyrikern des fernen Ostens ( man vergleiche die Nachdichtungen Klabunds und Bethges ) ebenso verwandt, wie den tschechischen Meistern Brezina und Sova.
Ein seltsames Phänomen ist festzustellen: Je mehr die Dichterin Langzeilen verwendet, je mehr sie sich von der kurzen Reihung lösst, desto beschwörender, eindringlicher wird die Wirkung ihrer Verse.
Man muss ihre Gedichte gelesen haben, in sich aufgenommen haben, um dankbar zu bekennen, dass auch in unserer " jungen" Lyrik dichterische Grösse sich wieder Bahn bricht.
Da weiss man, dass auch in unserem Land Spuren einer Weltlyrik zu finden sind, die wir in den letzten jahrzehnten bei den Jüngeren so schmerzlich vermissten. Der Vorname "Annette" ist sicher ein gutes Omen.
( Zitatende)
Vor einigen Wochen sagte ein Berliner Verlagsleiter, man brauche jetzt junge, gut vermarktbare Kult-Autoren. Lieber Zwilling: Zu dieser Kategorie Schriftsteller gehörst Du nicht! Dafür aber werden Deine Werke unsterblich sein!
Wenn der Blick erwidert wird,
Worte nicht ins Nichts verhallen,
wenn Verstehen auf Verstehen trifft,
Vertrauen Fesseln von der Seele nimmt,
dann beginnst Du "Du" zu sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ulrich Köhler. 10.Mai 2006
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