geschrieben in der Coronazeit, März 2020
Gedanken beim Blick
aus dem Fenster.
„Ja, ich bin zurück in
Deutschland,“ antwortete ich.
Nun liegt der Telefonhörer wieder in der Station und ich
schaue sinnend aus dem Fenster.
Das Jubilieren eines Amselmännchen dringt durch das
geklappte Fenster. Es sitzt auf dem höchsten Ast des Kirschbaums, dessen
prallen Knospen im noch kühlen Wind wiegen. Es scheint die Sonne, die nicht die
Wärme eines südlichen Sonnentags bringt.
Wieder fällt mir eine Zeile einer lieben Dichterfreundin
ein, die einmal schrieb: „Sich der Illusion hingeben, die Vögel sängen nur für
uns.“
Wie tröstlich dieser Gedanke, wo die gewohnte Welt um uns
herum zusammenbricht. Ein tückischer, bisher unbekannter Virus wirft sein
tödliches Netz über die Erde, reißt mit gierigen Fingern Menschen aus dem
Leben. Zuerst waren es Menschen ferner Kontinente. Wir sahen es voll Interesse und
leichtem Unbehagen in den täglichen Nachrichten. Noch war das Geschehen weit
entfernt. Dann rückte es näher. Besorgt beobachteten wir die sich täglich erhöhenden Ansteckungen in
einem Land unseres Kontinents, schauderten beim Anblick der Toten, die mit
Lastwagen aus den Krankenhäusern transportiert wurden. Wer konnte, flüchtete
aus den Regionen, wohlwissend, dass das Virus keine Ländergrenzen kennt.
Wir waren in Spanien, diesem Land, das uns auch Heimat
wurde. Noch fühlten wir keine Bedrohung. Wir streiften durch die Landschaft in
Küstennähe der Costa Blanca, verloren uns im Zauber der Mandelblüte, die sich
über dem Land ausbreitete, uns mit ihrem sanften Duft umhüllte. Nahezu täglich
gingen wir am Meer. Gegen Abend war der Strand meist menschenleer, nur einzelne
Spaziergänger mit ihren Hunden begegneten uns. Ein kurzer Gruß und wieder füllte
das Branden der Wellen unsere Wahrnehmung. Wohltuende, lautvolle Stille, die
nach innen drang, sich in uns ausbreitete, uns gelassen werden ließ. Der Schein
der sinkenden Sonne, der sich in unseren Augen spiegelte, der den Wein in den
Gläsern auf der Terrasse der kleinen
Strandbar schimmern ließ, wie oft war er die Krönung eines zufriedenen
Tages. Das Treffen mit Freunden, die gemeinsamen Gespräche, wie fröhlich sie
waren, wie selbstverständlich und oft spontan. Beim Einkaufen in der kleinen
Tienda in unserem Örtchen, das beglückende Gefühl bereits erkannt zu werden.
Der Besuch der Märkte, in denen Bauern die Produkte ihrer Felder und Plantagen
anboten, wie heimelig es war. Dort der fremden Sprache zu lauschen, die wir uns
mehr und mehr erobert hatten, und der Stolz, kleine Dialoge in ihr führen zu
können.
Und immer wieder die gestillte Sehnsucht nach der Stille in
den Bergen, die ähnlich der Stille in meiner Kindheit auf dem Gehöft im
Sauerland war, die damals nur durch das Nahen eines Pferdefuhrwerks
unterbrochen wurde und die sich wieder im Tal ausbreitete, wenn das Klappern
der Pferdehufe verklungen war. Die Stille in den Bergen hinter der Costa
Blanca, in der die Berggipfel zu singen begangen, wenn der warme Wind über sie
strich und uns wärmte.
Wir verließen Spanien am geplanten Ende unseres Aufenthaltes
mit dem Flugzeug. Wie bedauerte ich, die Rückreise nicht mit dem PkW antreten
zu können, denn obwohl ich oft gestöhnt hatte ob der langen Reise, so hatte ich
doch viele Stationen liebgewonnen, erwartete sie auf der Hinreise mit
klopfenden Herzen, aufmerksam, um sie
nicht zu verpassen. Der grandiose Anblick des sich ausbreitenden Tales, wenn
man bei Pont du Gard und Remoulon sich ihm aus einer Erhebung näherte. Das
Castillo de Salses im Süden Frankreichs, danach die Baumgruppe auf freiem Feld,
hinter der sich die schneebedeckten Kuppen der Pyrenäen erhoben. Dann war die
Grenze Spaniens nicht weit. Der erste Café con leche in einer Raststätte, die
vertraute spanische Sprache. Und dann die Vorfreude auf das Ziel an der Costa
Blanca, das zur zweiten Heimat wurde.
Und nun sitze ich hier im Sauerland, die Gedanken pendeln
vom Gestern ins Jetzt. In beiden liebgewordenen Ländern wütet das Virus. Die
Bedrohung ist um uns. Längst wurden Regeln und Vorsichtsmaßnahmen durch die
Regierungen verhängt. Kein spontanes Treffen mit liebgewonnen Menschen,
Bedrückung beim raschen Einkauf im Supermarkt mit gebührendem Abstand.
Stille auch hier in der industriellen Region, die sonst mit
Geräuschen der Industriebetriebe und des fließenden Verkehrs erfüllt ist und
den Flugzeugen, die die Flughäfen Köln und Düsseldorf anfliegen: kaum ein
Flugzeug durchbricht die Ruhe des Waldes, den ich nahezu täglich aufsuche, kaum
ein Mensch kreuzt unseren Weg. In unserem sauerländischen Städtchen gespenstige Leere auf den Straßen, die Restaurants
und viele Läden geschlossen, viele Firmen stellten ihre Produktion vorübergehend
ein, viele Menschen befinden sich in Kurzarbeit. Ganz viele bangen um ihre
Existenz. In den Wohnungen Homeoffices und viele Kinder, deren Kitas
geschlossen wurden. Sorge und Unglück allerorts. In beiden Ländern Infizierte,
Tote und Genesene. In beiden Angst, Trauer und Hoffnung.
Zeit innezuhalten. Danach wird nichts mehr sein wie vorher.
Unglück und Chance zugleich?
So verliert sich mein Blick in den Zweigen des Kirschbaums,
durch den ich im Rauschen des Windes die Wellen branden zu hören meine. Es entstehen
Bilder der Mandelblüte und geschäftigen Markttreibens. Ich denke an Freunde,
Verwandte und seelennahe Menschen, auch an die Menschen, die Unglück erreichte.
Denke an die spontanen Konzerte auf den Balkonen in vielen Ländern, in denen
Dank gezollt wird denen, die für unser Wohl sorgen und dafür arbeiten. Ich
denke an das Klavierspiel eines Schriftstellerfreundes, der via Telefon die
Arie Nabucco für mich musizierte.
Es wird mir bewusst, was wichtig ist und wie wenig wir
brauchen, um glücklich zu sein.
Ich werde demütig, bin glücklich, in diesen Bilder verweilen
zu können. Bin dankbar, noch gesund zu sein und meinen Mann seit vielen Jahren
an der Seite zu haben.
Die Hoffnung, all diese wunderschönen geistigen Bilder wieder erleben zu können, keimt wie ein zartes
Pflänzchen in mir.
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