Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




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27. April 2025

An einem Sonntag


 

Das letzte Gemälde der Ausstellung wurde nicht verkauft. Die Auktionatorin legt den Hammer zur Seite. Nun erheben sich die Käufer der verkauften Bilder, um die Regularien abzuwickeln. Der Erlös dieser Auktion wird für soziale Projekte gespendet.

Sie schaut sich um. Noch einmal betrachtet sie die Gemälde, die in langer Reihe an den Wänden hängen . Überwiegend großformatige, bunte Gemälde, alle in der ModernArt, oder Streetart gemalt. Eines hat ihr besonders gefallen. Eine Hommage an den großen spanischen Maler Picasso. Es sind Elemente seines weltweit bekannten Gemäldes Guernica eingearbeitet. Ein Mahnmal gegen den Krieg. Wie wichtig in dieser Zeit. Obwohl es in der gleichen Art wie die weiteren Gemälde gemalt ist, hebt es sich heraus. Seine Farben sind bedeckter. Aus der Mitte des Bildes schaut Picasso sie an. Nein, sie hat sich entschlossen, es nicht zu kaufen, denn die Wände ihres Hauses hängen voller liebgewonnener Bilder. Sie wendet sich ihrem Begleiter zu: „Möchtest du eins kaufen?“ Das Gemälde, das  einen Joker mit zwei Flaschen Wein zeigt, hat ihm gefallen.

„Nein, wir können gehen.“

Der Rückweg zum Parkplatz des Club Nautico führt über die Dachterrasse des Clubhauses. Sie stellt sich an die Brüstung. Wie bezaubernd dieser Blick über den Yachthafen ist, in denen unzählige Yachten im leichten Wellenschlag dümpeln. An der Anlegestelle des Fährhafens steht eine Fähre, die die Fahrgäste zu den balearischen Inseln bringen wird. Weiter links liegt ein einzelnes Schiff vor Rehde. Die Schiffe der Fischer liegen alle an ihrem Ankerplätzen. Die Abendsonne hüllt alles in ein sanftes Licht. Ein schöner Anblick. Sie ist glücklich. „Was für ein erfüllter Tag“, denkt sie, „diese vielen Gemälde gesehen zu haben, die allesamt in ihrer eigenen Sprache zu mir sprachen.“ Und wirklich: jedes Gemälde hatte eine andere Aussage. Und nun dieser Moment auf der Terrasse. Von dem Lokal im unteren Teil des Gebäudes klingt spanische Musik zu ihr empor, feurige Flamencoklänge. „Ja,“ denkt sie, „das ist Spanien, wie man es sich vorstellt.“ Kaum kann sie sich losreißen. Auch ihrem Partner hat es gefallen. Doch sie wollen heim. Zum Aufzug, der sie bis an den Rand des Parkplatzes fahren wird, sind es nur ein paar Schritte. Zum Parkautomaten sind es nur wenige Meter. 

„Hast du das Parkticket?“ Lächelnd schaut sie zu ihm hinüber.

„Nein, das hast du. Ich habe es nicht.“ Prüfend fasst er  noch einmal in seine Jackentasche. 

„Okay, dann habe ich es wohl eingesteckt.“ 

Im Vorwärtsschreiten öffnet sie ihre kleine Handtasche. Und da geschieht es: sie hat eine Stufe übersehen, nicht einmal 2 m vom Parkautomaten entfernt. 

Sie befindet sich im freien Fall. Das geschieht so rasch und unerwartet, dass sie sich weder darüber wundern, noch den Versuch starten kann, sich aufzufangen. Der Aufschlag auf den dicken Rand des aus Beton gegossenen Pflanzkastens erfolgt heftig. Rums. Obwohl sie es bisher niemals gespürt hat, weiß sie es in diesem Moment ganz genau: ihre Nase ist gebrochen. 

Es ist nicht der Fall, der sie erschreckt, nein, es ist dieses Wissen, die sie verwundert. 

Wie aus dem Nichts eilen Menschen herbei, bilden eine Traube um sie herum.  

„Oh!“

 „Wie geht es Ihnen??“

 „Können Sie alles bewegen?“ „Haben Sie Schmerzen“


Viele Fragen richten sich an sie. Gütige Augen, dunkle Augen voller Mitleid schauen auf sie herunter. 

Und sie, die ihre Schwäche stets sorgsam zu verbergen bemüht ist, wehrt sie nicht ab.

Ein Mann kniet neben ihr. Er ist mittleren Alters, Spanier. Seine Augen schauen sie voller Ruhe an.

Blut tropft unaufhaltsam aus ihrer Nase. Rasch sind ihre Hände bluteüberströmt, die sie prüfend zu ihrer Nase führt. 

„Können Sie die Nase bewegen?Haben Sie Schmerzen?“ 

„Ach, ich weiß nicht..“ 

„Darf ich?“Der Mann neben ihr

drückt prüfend leicht mit dem Finger daran. „Tut es weh?“

Die Ruhe, die von ihm ausgeht, umschließt sie, lässt keinen Raum für Panik oder Sorge.

Hilfreiche Hände haben weiches Papier besorgt, mit denen sie versucht, die Blutung zu stillen. Ein Mann reicht ihr Papiertaschentücher.

Eine der umstehenden Damen bespricht sich mit ihm.

Sie möchte aufstehen. 

„Nein, bleiben Sie bitte liegen.“  Die Stimme des neben ihr Knienden ist voller Zuwendung. Und sie, die immer die Toughe sein möchte, bleibt widerspruchslos liegen.. 

Der Mann hält ihre Brille von ihrem Gesicht. „Alles wird gut.“ Sie schaut in seine beruhigen Augen. Ja, das glaubt sie ihm: alles wird gut. Sie spürt wie wohltuend ist es, einem Fremden zu vertrauen, seine selbstlose Hilfe anzunehmen, nicht die Starke spielen zu wollen.

Jemand hat Eis in einem Tuch aus dem Restaurant nebenan geholt.

„ Sie müssen die Nase kühlen.“

Wohltuend, die Kälte zu spüren.

Die Blutung ist schwächer geworden.

„Ich möchte gerne aufstehen.“ Wieder richtet sie ihre Frage an den Unbekannten.

„Ja, aber stehen Sie nicht selbst auf. Wir  helfen Ihnen.“

Noch bevor sie etwas erwidern kann, greifen vier Arme nach ihr und heben sie in die Höhe

„Wie geht es Ihnen? Können Sie stehen?“

„Ja.“

„Dann bleiben Sie bitte stehen.“

Einige Damen aus der sie umringenden Menschenmenge sind voller Besorgnis. „Sie müssen in ein Krankenhaus.“ 

„Bitte nein, das geht auch ohne.“ 

Sie schaut in liebevolle, fremde Frauengesichter. „Doch. Sie müssen in ein Krankenhaus.“ 

Sie aber möchte zu einer Toilette gehen und sich das Blut von den Händen und aus dem Gesicht waschen. Drei Damen begleiten sie, reden in ihrer Landessprache auf sie ein. Vieles versteht sie, von anderen ahnt sie die Bedeutung.

Eine Dame, die deutsch spricht, hat sich zu ihnen gesellt: „Diese Frauen, nein, alle Frauen, machen sich Sorgen um Sie. Sie müssen in ein Krankenhaus. Haben Sie jemand, der sie begleitet?“ 

„Ja.“

Der Mann, der beruhigend neben

ihr kniete, erwartet sie. „Wie geht es Ihnen jetzt?“ 

„Es geht mir okay, es ist alles gut. Vielen Dank.“ 

Die Menge hat sich etwas verstreut. „Vielen, vielen, herzlichen Dank für all Ihre Hilfe.“ Sie richtet diese Worte voller tiefer Dankbarkeit an die Verbliebenen, bevor sie in Richtung der nun leeren Terrasse des Restaurants geht um sich auszuruhen, ein wenig benommen noch. 

Als sie Tage später darüber nachdenkt, wie hilfsbereit Alle waren, überlegt sie, ob ihr die Hilfe in ihrer Heimat ebenso selbstverständlich entgegengebracht worden wäre. Sie ist sich nicht sicher. Ein Gedanke ploppt immer wieder auf:  vielleicht war es ihr  Schutzengel, der neben ihr kniete, sie umsorgte, sie mit diesem so viel Ruhe ausströmenden Blick anschaute, ihr das Gefühl gab, geborgen zu sein, vertrauen zu können . Niemals wird sie dies vergessen.  Auch niemals diese Frauen, die fürsorglich waren,  wie Schwestern und die wie selbstverständlich Grenzen der Sprachen nicht existieren ließen.

Sie ist dankbar.


(c) Annette Gonserowski


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