Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




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3. Januar 2007

Eine Welt


(c) Claudia Ackermann,
Mein Tsunami-Bild

Vor zwei Jahren forderte ein Tsunami unzählige Menschenleben.
In einer Benefiz-Veranstaltung lasen und musizierten Mitglieder unseres Künstlerkreises "Kultur pur" und versteigerten Gemälde zu Gunsten der Tsunami-Opfer.
So auch das Bild von Claudia Ackermann. Ich habe das Glück und die Freude, dass ich es heute besitze. Es mahnt mich daran, dass es eine Welt ist, auf der wir leben und dass alle Menschen unsere Brüder und Schwestern sind. Das dürfen wir niemals vergessen.

Mein Vortrag anläßlich der Benefizveranstaltung zu Gunsten der Flutopfer am 30.1.2005, im Haus Nordhelle in Meinerzhagen-Valbert

Der Fernseher ist eingeschaltet. Eine Sendung über die Flutkatastrophe bringt Grauen in das Zimmer des Hauses, in dem ich weile und das nicht einmal 400 Meter vom Meer entfernt in einer Ebene steht. Wenn der Wind vom Meer kommt, trägt er das Brausen des Meeres durch die geschlossenen Fenster.

Heute übertönt die Fernsehsendung dieses vertraute Geräusch. Eine Fernsehsendung über die größte Flutkatastrophe der letzten Jahrhunderte, der Menschen an vielen Küsten des Indischen Ozeans zum Opfer fielen. Zerstörte Dörfer soweit das Auge blickt, Tote die aus ihnen geborgen wurden, die die Tsunamiwellen mit sich rissen, die in ihnen ertranken und die zerschmettert und unkenntlich zurückblieben, als sich das Meer in seine trügerische, sanfte Ruhe zurückzog. Menschen erscheinen für einen Moment auf dem Bildschirm, die ihre Angehörigen verloren haben, ihre Ehepartner, Kinder, Mütter, Väter, Geschwister, Verwandten. Nahezu jeder der an der Küste Wohnende beklagt Verluste eines geliebten Menschen. Mir fehlen die Worte, um auszudrücken, welch unfassbaren Schicksale zurückblieben. Menschen, die nicht nur den Verlust der geliebten Menschen beklagen, sondern denen darüber hinaus die Häuser, die Existenzen genommen wurden. Menschen in weiten Landstrichen , die ohnehin schon vorher in einer für uns kaum nachvollziehenden Armut lebten. Und da sind die Touristen, die dort Urlaub machten.Auch hier Tausende, die vermisst wurden. Unter ihnen unzuzählige europäische Touristen, die die Katastrophe mit heimnehmen in unser Land. Glücklich die, die ihr Leben retten konnten, verletzt in die Heimat zurückgeflogen wurden. Unfassbar glücklich jene, die unbeschadet im Heimatland von den bangenden Angehörigen in die Arme genommen werden konnten. Jedes Bild, das über den Bildschirm flimmert, gräbt sich tief in das Bewusstsein ein, in das Herz. Und doch möchte ich ein Schicksal herausgreifen, beispielhaft für Hunderttausende:
Eine junge Frau wird vor die Kamera gebeten. Ich schätze sie auf Anfang 20. Fasst noch ein Kinder, zart und verletzlich. An der Hand hält sie ihre zwei kleinen Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Die Kinder blicken ernst in die Kamera, aus ihren Augen ist die Fröhlichkeit gewichen. Seit der Katastrophe haben sie ihre Spache vergessen. Sie sprechen kein Wort, nicht einmal mehr miteinander, nicht mit ihrer Mutter. Die Mutter hat sie in einem Tempel gerettet wiedergefunden. Die Frau führt die Reporterin zu ihrem Haus direkt am Meer. Dort, wo es stand, nur Trümmer. Es fällt schwer, sich hier ein Haus vorzustellen. Mühsam sucht die junge Frau nach Worten, ihre Lippen beben, sie ringt um Fassung.
*Mein Mann war Fischer, er war ein guter Schwimmer. Er war auf dem Boot, nahe der Küste, als die Welle kam", erzählt sie. "Er wurde an Land gespült, tot, mit Verletzungen, die es ihm unmöglich machten, überhaupt den Versuch zu machen, in dieser tötlichen Welle zu schwimmen.*
Die Kamera schwenkt zu den Füßen der Kinder, die sich voll Angst in den lockeren Sand gekrallt haben, als wollten sie Halt suchen, in diesem vertrauten Boden. Der Blickwinkel wird verändert, zeigt die Augen der Kinder, in denen das Entsetzen steht, das Unfassbare, die Angst. Wieder wird die Mutter eingeblendet, ein Blick ihrer Augen wird erhascht, der vertretend für alle betroffenen Augenblicke zählt: eine persönliche Trauer und Verzweiflung spricht aus ihnen, Grauen. "Ich weiss nicht, wie es weitergehen soll. Ich wünschte, uns hätte das Meer alle genommen." Und nun weint sie doch, Tränen brechen die Fassung, um die sie sich vor der Reporterin bemühte.
Viele Kinder wurden Waisen, liegen verletzt und allein in Krankenhäusern oder fanden Aufnahme bei einer Hilfsorganisation. Familien verloren alles: Angehörge, ihre Bleibe, ihre Existenz.
Sie dürfen wir nicht allein lassen in ihrer Not. Darum haben wir diese Veranstaltung initiiert, möchten für diese Menschen musizieren, lesen. Die Maler unter uns stellten Bilder zur Verfügung, die hier nun versteigert werden sollen und deren Erlös den Flutopfern zukommen wird.
Während ich dies schreibe, bin ich am Mittelmeer. Meinem geliebten Meer, dem Meer während unbeschwerter Urlaube, in dem es mir Ruhe, Meditation, ja sogar Geborgenheit vermittelte. Ich liebe das Meer. Oft suche ich es auf, um Ruhe in meine Gedanken zu bekommen, mich seiner Weite und Unendlichkeit anzuvertrauen. Wenn ich traurig bin, vertraue ich mich seinem Wiegen an, schwimm lange in ihm, lasse mich von seinen Wellen tragen, umarmen, trösten. Kraftquelle Meer. Oft stehe ich am Strand, wenn die Wellen hoch und unbändig an Land toben, die Gischt sprüht , der Sturm, das Rollen der Kiesel sich mit dem Brausen des Meeres mischen, gegen das man anschreien muss, möchte man eine Unterhaltung führen. Dann halte ich Abstand vom Meer, betrachtete es aus sicherer Entfernung.
Auch am Tag der Flutkatastrophe war ich am Meer. Tausende Kilometer von ihr entfernt. Wie immer unternahm ich Spaziergänge entlang des Meeres, sah seine Schönheit.
Auch an einem Tag, an dem die Gischt über die hohen Steine schlug, ging ich auf dere Mole zum Leuchtturm an der Einfahrt zum Hafen, stand dort inmitten des Meeres.
Es hat im Moment seine Unbeschwertheit für mich verloren. Ich sehe seine verschlingende Kraft, seine Unberechenbarkeit. Das Brausen, das mich durch die geschlossenen Fenster des Hauses erreicht, macht mich nachdenklich. Menschen, mit denen ich mich unterhalte, empfinden ähnlich. Für eine Weile ist auch ihnen das Geborgenheitsgefühl abhanden gekommen. Eine Frau sprach es aus: "Immer, wenn ich ankam, freute ich mich und dachte: "Wie schön, endlich am Meer. Heute denke ich: "Das Meer ... " und fühle Bedrohung."
Sie werden, genau wie ich, ihre Sicherheit wiedererlangen. Ich sage es mit einer Gedichtzeile meiner Lieblinslyrikerin Hilde Domin: Uns wurde kein Härchen gekrümmt.
Wie anders dagegen unsere Brüder und Schwestern im Flutkatastrophengebiet. Ihnen wurde alles genommen und sie müssen dort weiterleben.
Wie klein und machtlos ist der Mensch, der die Erde bevölkert. Unsere Erde, dieser in seinem Kern rotglühende Ball, auf dem wir durch das Weltall segeln. Wir Menschen auf ihr, unzählig und klein wie die Ameisen und nicht höher als sie zu bemessen in unserem Stellenwert und Bemühen. Wir führen Kriege, treiben Raubbau, möchten Menschen und die Erde untertan machen. Möge uns diese Katastrophe bewusst machen, dass es eine Welt ist, auf der wir leben. Eine andere haben wir nicht. Möge uns bewusst werden, dass alle Menschen dieser Erde unsere Brüder sind, die wir nun nicht allein lassen dürfen.


Tsunami

Die Welle,
die sich aus dem Meer erhob,
die tobte zu den fernen Stränden,
begrub das Leben,
ließ Häuser Trümmer,
ließ Trümmer Gräber werden.

Es blieben Menschenarme,
die aus den Trümmern ragten
und Menschen,
denen sie das Liebste nahm.
Den Schrei erstickte sie
in ihrem Brausen,
zog sich zurück,
ließ nur das Grauen.

(c) Annette Gonserowski

Flutkatastrophe

Uns erreichte die Flutwelle
auf dem Bildschirm.
Sie nahm uns das Behagen des Abends.
Dir, fremder Freund Mensch,
nahm sie
ALLES.

(c) Annette Gonserowski

Ich lese das Gedicht des jungen Autors AZHARI (23) aus Banda Aceh (Nordsumatra) - der im Tsunami vom 26. Dezemer 2004 sein Haus, seine gesamte Familie und das Büro des einzigen Literaturmagazins der Region verloren hat -

Die roten Flügel meiner Mutter
Mutter, Vater und Nong, meine kleine Schwester
Ich kehrte heim nach dem Desaster
Wollte euch sehen und unser kleines Dorf
Ich dachte der sechundzwanzigste Dezember
Wäre nur ein schlechter Traum
Aber ich fand euch nirgends
Und auch nicht Klein-Arif die Quasselstrippe
Das Dorf war verschwunden
Genau wie ihr
Stattdessen ein Meer von Müll
Mutter, sieh den weißen Reiher
Der dort steht, wo dein Schlafraum war
Der Reiher hat keine roten Flügel
Wie ich es mir vorstellte in meinen Geschichten
Als ich noch ein Kind war
Denn, wie du weißt, Mutter
Der Reiher gab seine roten Flügel dir
Um Vater zu umarmen und Nong, meine kleine Schwester

(c) AZHARI(Januar 2005),
übertragen von Dorothea Rosa Herliani und Martin Jankowski.)


(c) Annette Gonserowski

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