Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




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13. Januar 2007

Wagnis


(c) Bettina von Garrel, mit freundlicher Genehmigung


Rück-Blick

Verpasste Chancen
Leben und Liebe lauwarm
Träume nicht gelebt.

Augen-Blicke verzaubern
wie die Kugel die Hexe.

© Rosalva Godim
Heute morgen wurde ich wach mit dem Gedanken an meine Freundin Rosalva.
Mir ging ihr Gedicht nicht aus dem Kopf, das vom lauwarmen Leben erzählt.

Sie berührte mich mit ihren Worten. Kennen wir nicht alle Momente, in denen wir glauben, nicht wirklich zu leben?

Ich dachte nach, wie mein Leben ist.
Mein Leben empfinde ich glühend - kaum, dass Zeit bleibt, all das zu machen oder aufzunehmen oder weiterzugeben, was ich möchte. Intensiv, wäre das andere Wort.

Aber da kam mir der Gedanke, wie sehr man sich oft wünscht, ein Mensch wäre im Innern so nah, wie eben nur möglich.

"Eben nur möglich" ist dies aber nicht. Mittlerweile bin ich sicher, dass jeder Mensch einsam bleibt.

Ich glaube sicher, dass das Leben in uns ist, fast wie ein Monolog.
Wieviele Gedanken denken wir unermüdlich! Wie wenige geben wir davon preis. Wie wenige Gedanken erfahren wir von dem Menschen neben uns?

Es ist Glück, einem Menschen zu begegnen, der ähnlich fühlt und man Nähe spürt. Ein jeder in seiner Einsamkeit.
Es ist Glück, einen Partner an seiner Seite zu haben, der Liebe und Wärme vermittelt.
Ich habe dieses Glück. Und ich wünsche mir, dass er weiß, dass ich ihn liebe. Auch in dem Wissen, dass es schwer ist, einem Menschen alles zu sein.

Ich glaube aber auch, dass mein Zwilling der Mensch ist, der mir für mein Leben zur Seite gestellt wurde, mit dem ich im Werden zusammen war. Ich glaube zu wissen, dass er ebenso fühlt.

Ich dankbar, Freunde zu haben, die mich gern haben und die ich gern haben darf. Ich bin dankbar für die Wärme, die ich spüre, wenn ich mit ihnen zusammen bin oder an sie denke.

Ich glaube aber auch, dass die Wärme, von der man wünscht, dass sie umhüllt, nur in uns zu finden sein kann.
Ich weiß nicht, wie lange wir sie behalten können und ob sie uns irgendwann auf dem Weg zum Ende hin verloren geht.
Ich denke oft darüber nach, wie dieser Schritt über die Schwelle, wie Ernst Meister es formulierte, sein wird. Das wird der einsamste Moment unseres Lebens sein: wenn wir endgültig gehen werden.

Oft, wenn ich glücklich bin, gar mit dem Auto unterwegs bin, durch meine wunderschöne Heimat fahre, von einem Ziel zum anderen, schaue ich von einer Anhöhe auf die sich ausbreitenden Berge des Sauerlandes. Sehe sie nur noch als Haut unserer verletzlichen Erde. Dann bin ich dennoch glücklich, fühle mich stark wie ein Baum, der hier wurzelt. Dann denke ich manchmal: das wird noch sein, wenn all die Menschen, die jetzt hier leben, gegangen sind. Selbst wenn Krieg und Umweltkatastrophen einmal unsere Erde zerstören sollten, dann werden sie bleiben, diese Hügel, die mir jetzt Heimat sind.

Irgendwo schön, diesen Gedanken an das Bleibende zu bekommen und zu wissen: es gibt dieses Bleibende, auch wenn wir es nicht sind.

Manchmal fällt es leicht, dies zu denken, manchmal voll Bedauern.
Ich kann nun Ernst Meister in seinen Gedanken verstehen. Mein Dichtervorbild, dessen reduzierte Worte ich bewundere.
Und doch: nach dem Lesen des Buches von Gabriele Wohmann wird auch er *nur* zum Menschen, verläßt den Sockel und wird Suchender.

Suchende sind wir alle - ein Jeder auf seine Weise.

Kürzlich befuhr ich eine Nebenstrecke, nicht einmal zwanzig Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Ich durchfuhr ein Stück Landschaft, in der ich noch nie vorher war. Da wurde mir bewußt, wie wenig wir kennen. Wir kennen in der Hauptsache das, was rechts und links der großen Straßen ist: hier ein Stücken, dort ein Stückchen. Ein Bruchteilchen dessen, was unsere Erde bereit hält. Um jedes Flecken zu berühren, reicht ein Menschenleben nicht. Und wir: wie klein sind wir dagegen. Wie kurz ist unser Leben.

Wieviele Wege gingen und gehen wir. Wieviele Menschen begegneten und begegnen uns.

Und dann denke ich: Menschen, die mich verlassen haben, sie bleiben in meinem Leben und ich in ihrem, wie die wunderschönen, vielfältigen Steine an dem Lebensweg. Und jeder Gedanke, den ich schreibe, erreicht ungelesen sein Ziel.

Und wenn sie Monolog bleiben: sie bringen Nähe und Klarheit.

Ich schreibe diese Worte in den Blog, voll Zögern. Es ist ein Wagnis, sie nicht zum Gedicht komprimiert und unverschlüsselt zu veröffentlichen.

Ich wage es.

Carpe diem.

Annette

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