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3. Oktober 2008

Ruhe








Nur zehn Minuten vom Hof entfernt wohnt die Ruhe, von der ich an unruhigen Tagen träume, nach der ich mich sehne, wenn die Hektik des Tages nicht einmal mehr vor meiner Wohnungstür Halt macht, die sonst Garant dafür ist, daß dieses Haus Insel der Ruhe und Geborgenheit bleibt.
Der Weg, der zu diesem Ort führt, geht zunächst vorbei an Koppeln, auf denen Pferde nach einem turbulenten Sommer entspannen. Meist zu zweit auf einer Koppel, grasen sie, laufen neckend aufeinander zu, ihr Fell glänzt in der Sonne und losgelöst vom Zaum schweben sie über die Weide, werden eins mit dem Wind.
Hinter dem Schlagbaum, der den Hof vom dahinter beginnenden Moor trennt, bedeckt kniehohes Gras den Weg. Blindschleichen huschen erschreckt zur Seite und im Strauch schimpft ein Eichelhäher über die unerhörte Ruhestörung.
Die Weichselkirschen etwas weiter des Weges hängen voller dunkelroter Trauben. Der Hochsitz am Wildacker ist auch heute nicht besetzt.
Entfernt höre ich das Schnauben der Pferde.
Links biegt ein Weg ab, endet in scheinbar unwegsamen Gelände. Der federnde Boden unter den Füßen spricht die Sprache des Moores.
Der Weg führt auf den Wald zu, eine Abzweigung endet auf einer Grasfläche im Moor.
Geradeaus öffnet der Wald seine Arme, begrüßt mich mit bunten, hüfthohen Farn beidseitig des Pfades.
Vögel huschen erschreckt von Ast zu Ast, empört über den ungebetenen Gast. Es raschelt im Gebüsch und der Hund hat in der Nase die Witterung der Wildschweine, die hier im Unterholz leben.
Schmale Pfade, die rechts und links aus dem Dickicht führen, erzählen vom Wildwechsel des mächtigen Hirsches, dessen brunftiges Röhren nachts bis hin zum Hof schallt.
Modriger Geruch hängt in der Luft von Pilzen, nassem Moos und moorigen Boden.
Etwas weiter im flachen Gewässer auf der Lichtung flüchtet ein Wildentenpaar an das entgegengesetzte Ufer.
Mächtige Eichen säumen den Weg.
Den Kopf in den Nacken gelegt verfolge ich die kerbige Rinde des dicken Stammes, lasse den Blick in den knorrigen Ästen der riesigen Krone ruhen. Ihre Blätter färben sich bunt und auch in diesem Jahr trägt sie unzählige Eicheln.
Noch etwas weiter läßt der Weg die Eichen hinter sich und die Wipfel der hohen Kiefern wiegen im Wind.
Nun bin ich am Ziel.
Hier wohnt die Stille.
Kein Pferdegewieher ist hörbar. Hier ist kein Strauch und kein Baum, deren Blätter im Wind unruhige Geschichten erzählen.
Hier setzte ich mich in das kniehohe Gras, das unangefochten seinen Platz auf dem Weg behauptet.
Die Sonne blinkt durch die Kiefernwipfel, neckt meine Augen.
Stille -, nur der Wind streicht durch die Zweige. Beruhigend sein Lied im Rauschen der Kiefernwipfel.
Ganz anders als im geschwätzigen Blatt.
Das ist die Ruhe, nach der ich mich sehnte.
Hier möchte ich bleiben für eine Weile.
Ich schließe die Augen, der Wind streicht durch die Locken, streicht über die Wangen, verwöhnt meine Haut.
Die Ohren nehmen begierig die Stille auf: das Wiegen der Wipfel im Wind.
Auch bei geschlossenen Augen bemerke ich das Kommen und Gehen des Windes, lasse mich mit den Wipfeln wiegen wie ein Kind auf dem Mutterschoß.
Ruhe - sie schaltet die geschäftigen Gedanken aus, macht sich im Körper breit, das Blut wiegt in den Adern sanft wie die Wipfel im Wind.

Ruhe,
nichts als unendliche Ruhe -
- nichts als das Lied des Windes.
Hier weile ich - vergesse den Raum und die Zeit.
Der Aufbruch später ist fast schmerzhaft, zögernd und ungern gehe ich den Rundgang zum Hof, zurück in diese wirkliche Zeit.


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