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18. April 2006

Ein Märchen





Freundschaft
-ein Märchen -
für einen Freund

Inmitten einer großen Wiese, nicht weit von einem Bachlauf entfernt, stand ein Baum, der seinen ausladenden Wipfel der Sonne entgegenreckte.

Im Sommer wuchsen um ihn herum die schönsten, bunten Blumen und der Bach murmelte ihm geheime Geschichten zu.
Herbststürme raubten ihm sein buntes Blattwerk, das er wehmütig mit ihnen treiben sah.
Im Winter bedeckte Schnee seine Wurzeln, zwischen denen Mäuse ihre Zuflucht suchten.
Dann wurde der Baum starr und seine blattlosen Zweige schauderten in der Kälte.
Im Frühling, wenn die Erde zu neuem Leben erwachte, die Wurzeln begierig aus den springenden Quellen tranken, erwachte er wieder zum Leben und seine Knospen sprangen auf in dem ersten wärmenden Sonnenstrahl.

Verliebte hatten Herzen in seine Rinde geschnitzt, ihm Wunden zugefügt, von denen eine Erhebung der Rinde zeugte. Manchmal kamen Menschenpaare, fühlten mit zärtlichen Fingern die Leidenschaft früher Jahre oder ein einzelner Mensch betrachtete traurig das Zeichen einer vergangenen Seligkeit.

Viele Vögel suchten in seinen Zweigen Zuflucht oder bauten ihre Nester in ihnen. Der Baum schätzte sie, die meist im Winter in wärmere Gefielde flogen, um im Frühling mit Düften und Geschichten ferner Länder zurückzukehren.

An einem Sonntagvormittag im frühen Jahr landete ein brauner Vogel auf einem der großen Zweige des Baumes, falte seine Schwingen zur Ruhe und beäugte mit seinen wachen Augen das Geäst. Es war ein fremder Vogel, einer, wie ihn der Baum noch niemals gesehen hätte. Interessiert bot er ihm Platz auf diesem Zweig, wiegte seine erstarrten Ästchen im erwachenden Lufthauch, raunte ihm einen Willkommensgruß zu.
Der Vogel flog wieder fort.

Kaum, dass seine Schwingen hinter dem Horizont entschwunden waren, flatterte die Eule, die Alleswissende, heran, um aufgeregt ihre Krallen auf einem der Äste zu verhaken. Sie warnte vor diesem fremden Gast, der zwischen seinen Schwingen die Mär des Geheimnisvollen trug. Der Baum hörte der Eule zu, wiegte seine Zweige abwägend im Wind...erfuhr von diesem Jäger, der zwischen den Himmeln jagte, hoch aus den Lüften hin zu der Erde...
Sein Bild hatte sich schon tief in die Rinde geprägt...

An einem Abend am Ende des Winters kam der Vogel wieder, suchte ein Plätzchen zur Nacht. Der Baum war traurig an diesem Abend, hatte Abschied genommen von einem Freund. Tröstend strich der Vogel mit seinen Schwingen über die Rinde der Zweige, schaute beruhigend mit seinen grünen, strahlenumkränzten Augen. Dem Baum gefiel diese Sanftheit des fremden Vogels und er lauschte atemlos seinen Erzählungen. Und die Ruhe kehrte ein, die Sterne leuchteten und der Mond zog seine einsame Bahn....

Der Vogel kam öfter, suchte die Ruhe des Baumes, ihm gefiel dieses gemeinsame Schwingen im sanften Wind, er fühlte den Gleichklang.
Der Baum bot ihm Raum, schenkte ihm Platz in seiner größten Astgabel, dort, wohin der Saft direkt aus den Wurzeln gelangte und das pulsierende Leben des Baumes war.
Der Vogel sammelte Zweiglein um Zweig und baute kunstvoll seinen Horst, nah an dem Pulsschlag des Freundes.
Sie hatten sich gern und der Baum wartete voller Freude auf die Ankunft des Freundes; wenn dieser atemlos vor Freude sich auf ihm niederließ.
Träumte der Baum in die Mittagssonne, so war das Bild dieses Jägers in seinen Augen, wie seine Silhouette sich gegen den Horizont hob.
Der Jägervogel vergaß seine Passion, streichelte sanft mit den Schwingen, trank von der Seligkeit des Baumes, ließ diesen in seinen Augen versinken.
Sie waren eins, ein Herz und eine Seele. Der Baum bebte von der kleinsten Wurzel bis hin in die äußerste Zweigspitzte und begann zu leben, mitten im Winter, ungeschützt gegen die klirrende Kälte. Auch der Vogel flirrte bis in die kleinste Feder...
Der Vogel - ein Falke, ein Jäger, auch in seinem Herzen. Nur für eine kurze Zeit weilend. Vorsichtig geworden nach den Kämpfen vergangener Jahre, ein Winkel seines Herzens verschlossen, zog ihn seine Passion. Immer öfter verließ er das Nest, blieb fern. Der Baum verstand dieses, unfähig den Platz zu wechseln, ließ er ihn treiben, ließ ihn frei sein.
Doch er vermißte ihn schmerzlich, rief vergeblich sein Bild in die Augen, trauerte im sinkenden Abendlicht.
Der Nachtwind trug ihm Geschichten zu, die der Falke ihm mitgegeben hatte, fuhr tröstend über die frierenden Zweige...Aber die Geschichten des Windes hatten nicht die Wärme der Schwingen, wenn diese sich zärtlich auf die erstarrten Knospen legten....

Der Horst in der Astgabel war leer. Verschiedene Vögel landeten auf den Rand dieses Horstes, beäugten die verlockende Ruhestätte. Der Baum gestattete ihnen kein Bleiben.
Der Falke blieb fern, sein Horst blieb verweist, niemand pflegte diese Stätte, niemand befestigte gelockertes Nestwerk, es bröckelte im aufkommenden Sturm. Traurig senkte der Baum seine Zweige hin zu der Erde, vermißte den Freund, den geliebten, die Stunden mit ihm, seine Zartheit, das gemeinsame Schwingen..
Ein letzter Wintersturm entriss den Horst der Astgabel, wehte ihn zur Erde, nah zu den Wurzeln des Baumes.
Der Baum trauerte still in das Abendrot.
Die Zugvögel kehrten zurück, suchten Begehr bei diesem Baum, dem Freund vieler Jahre. Nur langsam erwachte der Baum aus seiner Trauer, ließ Freunde zu. Immer mehr Freunde suchten seine Gesellschaft, weilten bei ihm. Und doch vermißte der Baum seinen Liebsten, diesen Falken.
Eines Abends durchtrennte das Rauschen von Schwingen die Strahlen der untergehenden Sonne und das geliebte Bild hob sich ab gegen den Horizont. Der Falke war wieder da. Beglückt rauschte der Baum im Lufthauch, als der Freund sich auf der nun leeren Astgabel niederließ.
Bestürzt betrachtete der Falke den leeren Platz, dort wo einst sein Horst war, so nah an dem Herzen des Baumes, sah auf das zerstörte Nest nahe den Wurzeln.
Er wollte Freund sein! So trug er Zweiglein um Zweiglein hin zu dem leeren Platz, befestigte nun sorgsam den Horst. Der Baum, nun voller springender Knospen, bildete neue Ästchen, legte sie schützend um diesen Horst.
Sie bauten ein Nest, alle beide, ein Nest - geöffnet zur Freiheit..

(c) Annette Gonserowski

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