Eigene Lyrik, Fotos und Bilder




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14. November 2007

Hündchens (Aus-) Plauderei

Erwachen

Ich erwache. Meine langen Beine strecke ich wohlig aus, so lang, dass sie die Wände meines Schaumstoffbettchens berühren, das mein Frauchen in die Nähe der Heizung gestellt hat. In das Körbchen hinein hat sie eine flauschige Decke gelegt, sie über die Ränder geschlagen, damit sie nicht herausrutscht, wenn ich mich, wie jetzt, an die weichen Wände schmiege.
Ich öffne vorsichtig die Augen. Es ist noch dunkel. Durch die Lamellen des Fenstervorhangs fällt nur der Schein der Terrassenlampe, die Frauchen abends einschaltet, damit ihr gedämpftes Licht ins Esszimmer fällt. Dann kann ich mich besser orientieren, wenn ich nachts wach werde.

Ich werde manchmal wach, klettere dann aus dem Körbchen heraus und lege mich an verschiedene Stellen in der Wohnung. Ich lege mich gern an das Fenster im Wohnzimmer, oder vor den Wohnzimmertisch auf den dicken Teppich. Manchmal lege ich mich auch genau hinter Frauchens Lesesessel. Das ist ein gutes Versteck, denn man sieht mich nicht sofort, wenn man das Wohnzimmer betritt.
Vorgestern wollte ich mich gerade vor dem Wohnzimmertisch auf den Teppich legen, als ein verlockender Duft meine Nasenflügel vibrieren ließ. Der Duft von frischem Butterspekulatius. Das ist eine Köstlichkeit, die mich verzückt. Ich hab dann meine Schnauze über den Tisch gehalten und siehe da: es befand sich wirklich noch ein Spekulatius in dem weißen Schälchen, das auf dem Tisch stand. Dieses Schälchen ist aus so hauchdünnem Porzellan, dass man die dahinter stehende Kerze schimmern sieht, wenn man genau schaut. Als ich den Spekulatius vorsichtig daraus nehmen wollte, fiel das Schälchen auf den Teppich. Niemand hatte das gehört, weil der Teppich den Aufprall dämpfte. Zum Glück ist es heile geblieben, denn Frauchen war am nächsten Morgen erschrocken, als sie das Schälchen auf dem Teppich liegen sah. Dieses Schälchen ist ein Erbstück von ihrer Mutter und sie hütet es wie einen Augapfel.

Ich schnuppere mal in Richtung des Wohnzimmers. Heute riecht es neutral: nirgendwo ein Hauch des Duftes von Butterspekulatius.Ich schaue in Richtung der Schlafzimmertür von Frauchens Schlafzimmer. Die ist immer weit geöffnet, damit Frauchen hören kann, wenn ich im Haus herumgehe. Aber auch, damit ich jederzeit zu Frauchen gehen kann.

In der vergangenen Nacht bin ich nur einmal zu Frauchen gegangen. Ich wollte, dass sie mich herauslässt. Ich hab mich im dunklen Zimmer neben Frauchens Bett gestellt und nur gewartet, was passiert. Eigenartigeweise wird Frauchen meist sofort wach, wenn ich da bin. So auch in der vergangenen Nacht. Sie schaute mich an und fragte: "Was möchtest Du denn? Willst Du raus?" Und dann hat sie ihre Bettdecke zurückgeschlagen, die Beine aus dem Bett gestellt und ist aufgestanden. Unter dem Arm hatte sie ihre beiden Körnerkissen. Wir sind dann zusammen in die Küche gegangen. Frauchen hat die Körnerkissen in die Mikrowelle gelegt und die Zeitschaltuhr auf 4 Minuten gestellt. "Aha", hab ich gedacht, "Vier Minuten also. So lange darf ich draußen bleiben." Frauchen hat die Tür zur Terrasse aufgemacht und ich bin hinausgelaufen. Auf der Terrasse war ein Igel, der genüsslich das Vogelfutter schmatzte Ein mittelgroßer Igel, nicht mehr winzig und noch nicht richtig erwachsen. Ich hab ihn erst einmal von der Terrasse gejagt. Das hat Frauchen aber mitbekommen und mich sanft in Richtung der Wiese geschoben. Da war eine Überraschung: Schnee lag auf dem Gras! Weißer, frischer Schnee. Der erste dieses Winters! Ich liebe Schnee. Es ist herrlich im Schnee zu tollen. Es ist spannend, die vielen Spuren zu verfolgen, die kreuz und quer über die Wiese führen: Hasenspuren, Katzenspuren, Abdrücke von kleinen Igelpfoten, die filigranen Gebilde, die die zarten Vogelbeinchen im Schnee hinterlassen. Ich stecke meine dicke Nase in jede einzelne Spur und laufe ein Stück auf ihrem Weg.
Und ich fresse den Schnee so sehr gern! Schnee ist köstlich. Er ist frisch und stillt den Durst. Ich mampfe den Schnee voll Behagen und schmatzte dabei wie ein Igel.
Vier Minuten sind schnell herum und so kam Frauchen viel zu früh aus der Terrassentür, um mich zu holen. Aber nicht mit mir und dem frisch gefallenen Schnee!! Ich habe gesehen, wie sie aus der Tür heraustrat und mein Winterspielchen eingeleitet: ich hüpfte, so schnell es meine alten Beine zuließen, durch den Schnee auf sie zu und um sie herum. Ich habe meine Pfoten hoch in die Luft geworfen, dass die Vorderbeine sich kreuzten. Dann bin ich wie ein Pflitzebogen davon geschnellt und wieder auf Frauchen zu. Und natürlich war es so wie immer: Frauchen lachte vor Freude. Am Tag spielt sie dann mit mir und versucht auch um mich herumzuhüpfen. Aber das gelingt ihr nicht mehr so gut, wie vor einigen Jahren. Doch heute lachte sie nur und rief: "Komm her, Du Schlingel, wir müssen weiterschlafen." Ich hüpfte noch einmal um sie herum. Sprang noch einmal viel höher, wie vorher. Da machte es fast gar nichts, dass ich das Gleichgewicht nicht mehr halten konnte und unsanft auf meinem Hinterteil landete. Ich hab mich schnell wieder aufgerappelt und bin, so schnell es meine alten Beine erlaubten, an den Rhododendronbusch gelaufen, um mein Beinchen zu heben. Ja, und das war Frauchens Chance. Sie rutschte auf ihren Birkenstocksclogs auf mich zu und packte mich fest, aber nicht unsanft, am Nackenfell. Ich nahm noch eine Schnauze voll Schnee und ging dann mit ihr ins Haus. Frauchen trottete mit ihren Körnerkissen in Richtung des Schlafzimmers, löschte das Licht und war kurze Zeit später wieder eingeschlafen. Es dauerte nicht lange und ich schlief auch wieder tief und fest.
Als ich das zweite Mal wach wurde, bin ich nicht zu Frauchen gegangen, sondern in die Küche. Ich hatte Hunger. Kein Spekulatiusduft weit und breit. Was blieb mir da anders übrig, als im Fressnapf nachzuschauen, ob ich vielleicht doch noch einen kleinen Rest vom Abendessen übrig gelassen hatte. Frauchen hatte mir nämlich Bulgur gekocht, das sie vorher in Olivenöl angeröstet hatte. Darin etwas Lauch, ein wenig vom gegrillten Hähnchenfleisch und eine Portion meines Dosenfutters - das esse ich sehr gern. Ich hatte aber am Abend alles aufgegessen, so dass ich nur die Napfwände noch einmal auslecken konnte. Und das hab ich auch gemacht! So sorgsam, dass der Napf in seinem Gestell laut rappelte. Das wiederum hat Frauchen geweckt, denn plötzlich hat sie im Türrahmen gestanden, ganz verschlafen, die Haare wirr um den Kopf herum. Sie ist dann zu meiner Vorratstonne gegangen und hat etwas Trockenfutter in meinen Napf geschüttet. Danach hat sie sich wieder ins Bett gelegt und wenige Minuten später war sie schon wieder eingeschlafen.

Apropos schlafen: seitdem ich ein älterer Hundeherr bin, schlafe ich sehr gern und ausgiebig am Tag. Wenn Frauchen zu Hause ist, schaue ich, wo sie ist, lege mich in ihre Nähe und schlafe zufrieden ein. Frauchen sagt, ich schnarche, wie ein Bär. Ich will ja nichts sagen, aber es passiert Frauchen auch, dass sie beim Lesen einschläft und das Buch aus ihrer Hand fällt. Dann kann es auch schon mal vorkommen, dass auch sie laut atmet, wie sie es nennt - und das ist kein Märchen, das Herrchen erzählt. Wenn sie dann wach wird, reibt sie manchmal ihren Nacken, der von dieser unbequemen Schlafhaltung steif geworden ist. Dann muss ich lächeln, denn auch meine Knochen muss ich stets erst einmal recken und strecken, wenn ich geschlafen hab. Sie sind dann steif und ich gehe die ersten Schritte holprig und staksig. Frauchen fährt einmal in der Woche mit mir zur Physiotherapie. Und das tut mir und ihr gut. Sie sitzt immer ganz verzückt dabei und freut sich, wenn ich durchgeknetet und gedehnt werde. Sie jauchzt und lacht und ich habe oft den Eindruck, als ob sie sich am liebsten mit auf die Matte legen würde. Wenn sie aber selbst zur Massage geht, dann muss ich zu Hause bleiben. Das finde ich echt ungerecht.

Nun muss ich aber doch mal schauen, ob Frauchen wach ist. Es ist doch schon 5 Uhr. Wäre es Sommerzeit, wäre es schon 6 Uhr und Zeit, dass Frauchen aufsteht. Es ist noch dunkel im Schlafzimmer. Kein Lichtschein fällt durch die geöffnete Tür, der mir zeigen würde, das Frauchen schon wach ist und lesend im Bett liegt.
Ich stakse aus dem Bett heraus. Der Schein der Terrassenlampe erleuchtet spärlich den Weg in Frauchens Schlafzimmer. Ich gehe durch den kleinen Vorflur, von dem auch eine Tür ins Badezimmer führt. Auch diese Tür ist geöffnet. Frauchen mag keine geschlossenen Türen in der Nacht. Nur die Haustür ist verschlossen. Das prüft sie abends immer noch einmal nach, bevor sie endgültig zu Bett geht. Ich kenne den Weg zu Frauchens Bett im Schlaf. Ich gehe rechts am Bett vorbei, um das Bett herum. Im Sommer fällt schon früh das Licht der aufgehenden Sonne durch die Lamellen der Rolläden. Doch heute ist es dunkel. Wie ein dunkler Schemen stelle ich mich neben Frauchens Kopfkissen. Ich schaue auf sie herunter: dort wo sich einst ein dunkler Haarschopf auf dem Kissen ausbreitete, liegen nun Frauchens Haare grau mit schwarzen Strähnen. Kommt es mir nur so vor? Ich meine, ihr Kopf sei kleiner geworden. Heute liegt er blass auf dem harten Nackenkissen. Sie sieht entspannt aus. Manchmal jedoch sieht sie müde und abgespannt aus. Dann mache ich mir Sorgen, passe auf sie auf. Jetzt atmet sie still. Eine Hand hat sie unter den Kopf gelegt. Wie lieb ich mein Frauchen habe. Genauso lieb, wie sie mich hat, sagt sie immer. Wir streiten uns dann und ich sage immer: "Ich hab dich ganz, ganz lieb und noch viel lieber," und wedle ganz heftig mit meiner Rute. Wenn ich ihr dann auch noch als Beweis ein nasses Küsschen mitten auf die Nase geben will, lacht sie und zieht den Kopf fort.

Ich zögere. Soll ich sie heute mit solch einem Küsschen wecken? Das mache ich oft.
Ich nähere mich erst einmal vorsichtig ihrem Gesicht. Spüre ihren Atem. Sie schläft noch immer. Jetzt bewegt sie sich. Ich bleibe still stehen, schaue sie nur an. Sie schlägt die Augen auf: "Mein Junge..."
"Mein Junge", das sagt sie oft zu mir, auch jetzt noch, wo ich wahrlich schon sehr alt bin. Oft sagt sie sogar: "Mein kleiner Junge". Dabei bin ich ein richtig großer Airedale- Rüde. Ich wundere mich immer: Wenn ich an ihrem Bett stehe, schlägt sie meist kurz danach die Augen auf und ist hellwach. So von jetzt auf gleich. Kein Recken und Strecken, wenn sie merkt, dass ich raus will. Sie mault noch nicht einmal, wie ich es gern mache, wenn sie mich wach macht, um mit mir spazieren zu gehen. Aber wenn ich ehrlich bin, hat sie sich auch da ein wenig gebessert: sie macht mich meist ganz sanft wach, indem sie zärtlich über meinen Rücken streichelt. Dann lässt sie mich erst einmal wach werden, bevor sie mir den Hundemantel anzieht. Über den lachen manche Menschen, wenn sie mich sehen. Sollen sie doch. Pferde lässt man auch nicht ungeschützt durch den Regen gehen. Auch sie tragen Decken. Und die Menschen erst! Was tragen sie nicht alles, wenn es regnet! Vor Allem diese Regenschirme. Habt Ihr schon mal einen Hund mit Regenschirm gesehen? Dann doch lieber mein regendichter Hundemantel. Ich hab es gern, wenn es regnet und ich darin wassergeschützt meines Weges gehe.
Ja, richtig, meines Weges. Frauchen geht immer die Wege, die ich gehen möchte. Wenn sie mal etwas anderes wagt, dann bleibe ich stehen, halte meinen Kopf starr nach unten, ramme meine Beine in den Boden, so dass sie vergeblich an der Leine zerren würde. Das tut sie ohnehin nicht, sondern trottet mit mir auf meinem Weg. Ja, wir sind langsamer geworden, genießen die Landschaft noch gemächlicher. Ich schnuppere mal hier und mal dort. Sie schaut mal hier und mal dort nach singenden Vögeln und aufspringenden Knospen und nun nach Grashalmen, die aus dem Schnee ragen. Früher bin ich mit ihr durch die Wiesen getollt und von links nach rechts und von rechts nach links über den Bach gesprungen. Frauchen hat gejauchzt vor Freude und ich bin regelrecht ausgeflippt. Nun gehen wir auch noch zum Bach, ich manchmal hinein, um zu trinken. Frauchen steht dann am Ufer und schaut mir und den Wellen zu. Frauchen erzählt mir immer etwas, wenn wir unterwegs sind. Auch Geheimnisse - aber die verrate ich niemanden. Darauf meine Pfote, nicht einmal Emma, meiner liebsten Hundefreundin.

Nun schlägt Frauchen die Bettdecke zurück. Langsam setzt sie ihre Beine aus dem Bett, angelt nach ihren Birkenstocks. Sie greift einmal in ihren Rücken, reckt sich und steht auf. Ich trotte vor ihr her, sie trottet hinterher in Richtung der Küchenterrassentür. Ich spüre, wie nah sie mir ist. Ihre Nähe umhüllt mich. Sie atmet meine Nähe. Wir sind glücklich.

(c) Annette Gonserowski

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